Nigeria: Gewalt gegen Christen hat keine religi?se Grundlage
Im Nordwesten Nigerias wüten seit Jahren mindestens sechs bewaffnete extremistische Gruppen: Die jüngste, seit 2024 aktiv, heißt Lakurawa und kommt aus Mali. Sie greift Dörfer in den entlegensten Teilen des Nordwestens zwischen Sokoto und Kebbi an und fordert Opfer unter der nigerianischen Zivilbevölkerung. ?Wir leben in Angst. Sie haben unsere Kirchen und Häuser niedergebrannt. Einige von uns haben alles verloren“, berichten christliche Bauern in der lokalen Presse, so zitiert die Agentur sir. Die Gewalt in Nigeria, die Erpressungen, Entführungen und Morden, richtet sich sowohl gegen Geistliche der katholischen Kirche als auch gegen einfache Menschen, Gläubige und Nichtgläubige, gemäßigte Muslime und Katholiken.
Fortunatus Nwachukwu, Erzbischof und im Dikasterium für die Evangelisierung der Völker tätig, äußert sich deutlich: ?Ich kann mit Gewissheit sagen“, so Nwachukwu, ?dass Nigerias Problem kein religiöses ist, es ist kein Problem der religiösen Verfolgung.“ Er spricht vielmehr von ?einem schwierigen Zusammenleben, vor allem wegen des Extremismus, nicht nur des islamischen Extremismus“.
Kein Aufzwingen des Glaubens
Der Prälat erklärt, dass ?das eigentliche Problem darin besteht, dass es Menschen gibt, die politische und ethische Fragen instrumentalisieren, sie mit religiösen Fragen vermischen und hybride Situationen schaffen, die schwer zu kontrollieren sind“. Zu diesen ?Mischformen“ zählt der Bischof ?die seit langem bestehenden Konflikte zwischen den Fulani-Hirten und den örtlichen Bauern“.
Die Fulani seien zwar größtenteils Muslime, der Konflikt habe aber nichts mit dem Aufzwingen des Glaubens zu tun – es gebe schließlich auch Fulani, die zum Christentum konvertiert seien, so Nwachukwu. Der wahre Grund liege in dem Wunsch nach wirtschaftlichem und territorialem Nutzen, durch ?eine langsame Umwandlung dieser Bevölkerung vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit“, die zu einer Konkurrenz mit den bereits in dem Gebiet lebenden Menschen führt.
Religion nur als Vorwand?
Die Leere des Staates begünstigt die Selbstjustiz. Lokale Kriminalität vermischt sich oft mit pseudoreligiösen Behauptungen, die falsch interpretierte Gebote des Islams als Vorwand nehmen. Selbst der Bericht ?Dangerous Liaisons“, der dieses Jahr vom Forschungsinstitut Clingendael veröffentlicht wurde, stellt eine enge Verbindung zwischen einer dschihadistischen Gruppe wie Darul Salam (einer Abspaltung von Boko Haram) und dem üblichen Banditentum her.
Die Kriminellen missionieren auch: ?Um mehr Anhänger zu gewinnen und Unterstützung zu erhalten“, so das Nachrichtenportal Al Jazeera, ?verteilt Lakurawa Geld, landwirtschaftliche Geräte, Dünger und Saatgut sowie Wasserpumpen an die bedürftigsten Bevölkerungsgruppen.“ Die Anhänger von Lakurawa waren einst gegründet worden, um dem lokalen Banditentum entgegenzuwirken, das die Entführungskrise ausgelöst hatte, und um Dörfer ohne staatlichen Schutz zu ?schützen“. Bald wurden diese Gruppen selbst zu Kriminellen.
Bischof Nwachukwu ist aus zwei Gründen besorgt: wegen des Vordringens der Gewalt aus dem Norden in die zentralen Gebiete des Landes, und weil der ?schlechte Ruf“ von Gruppen wie den Fulani-Hirten wiederum Hass und Vergeltung hervorruft – und zwar so sehr, dass er einen Völkermord befürchtet.
Die Gewalt rückt vor
?Was in der Zentralregion geschieht, verschiebt sich langsam“, sagt der Bischof, ?und die bewaffneten Gruppen beginnen, sich zurückzuziehen. Einige Gemeinden beginnen zu reagieren und sich zu verteidigen“. Der Bischof bestätigt die Entführungen von Priestern der katholischen Kirche: ?Es gibt viele Priester, die entführt werden, weil Terroristen und Banditen in Priestern Menschen sehen, denen es finanziell gut geht und die für sie ein leichteres Ziel sind als andere“. Die Terroristen griffen auch Laien an. Aber: ?Priester sind ein verlockenderes Ziel: sie haben keine Familie, besitzen vielleicht ein Auto, und die Kriminellen glauben, dass die Kirche Lösegeld für sie zahlen wird.“
Manchmal würden sie dies mit Religion vermischen und behaupten, Islamisten zu sein. Sie nehmen das Geld und bewaffnen sich, sodass ?viele Gruppen besser bewaffnet sind als die Armee“, berichtet der Bischof. Vor allem das Gebiet an der Grenze zu Benin sei ein unentwirrbares Geflecht aus mindestens sechs bewaffneten Gruppen, lokalen Banden und Gewaltexzessen, die angeblich mit Boko Haram in Verbindung stehen. Ziel sei aber nicht nur die katholische Kirche, sondern jede potentielle ?Einnahmequelle“.
Drei Schritte zur Evangelisierung
Fortunatus stellt klar, dass die katholische Kirche in Nigeria die stärkste kirchliche Gruppe ist – bei der Aufrechterhaltung des inneren Zusammenhalts und des Friedens, aber auch bei den Beziehungen zu den Muslimen, die für die katholischen Hierarchien von zentraler Bedeutung seien: ?Die Kirche spielt eine wichtige Rolle bei der Erziehung der Gläubigen und setzt ihre missionarische Tätigkeit fort“.
Es sei zwar schwierig, für Nigeria verlässliche Zahlen über die Gläubigen zu erhalten. ?Aber wir wissen, dass die nigerianische Kirche derzeit die größte in Afrika ist, was die Organisation und die Bischofskonferenz betrifft.“ Es gebe allerdings auch innerhalb der Kirche große Probleme mit ?Tribalismus und Ethnozentrismus“.
Die Neuevangelisierung müsse zielgerichtet sein, denn das Christentum erfordere einen Wandel der Kultur und der Denkweise. Die christliche Kultur ist ?jenseits von Ethnozentrismus und kann gut in jede andere lokale Kultur integriert werden. Da gibt es hier noch viel zu tun“. Als Schritte schlägt er vor: ?Zunächst die Verbreitung einer Kultur des Zusammenlebens, die nicht auf Rache aus ist, dann die Isolierung der Situationen, die Hass erzeugen, ohne den Dominoeffekt auszulösen, der das Land in eine Phase ohne Wiederkehr bringen würde.“
(sir – lv)
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