Estland: Märtyrerbischof Eduard Profittlich seliggesprochen
Die Aktualität sparte der emeritierte Erzbischof von Wien nicht aus. „Gerade in dieser Gegend der Welt“ sei die Sorge besonders groß, dass „alte Wunden“ wieder aufbrechen; Estland grenzt an Russland. „Krieg gehört wieder zum bitteren Alltag dieser Region“, erklärte Schönborn, der in seiner Predigt den Bogen von der Geschichte in die Gegenwart spannte.
Er erinnerte an die sowjetische Gewaltherrschaft, unter der Profittlich 1942 im Gefängnis von Kirov starb. Der deutsche Jesuit hätte in seine Heimat zurückkehren können, entschied sich jedoch, bei den ihm anvertrauten Gläubigen in Tallinn zu bleiben. „Weil er sie nicht allein lassen wollte, ist er nicht nach Deutschland zurückgekehrt, im klaren Wissen, dass das fast unausweichlich zu seinem Tod führen wird.“
Profittlich habe die Weisung von Papst Pius XII. eingeholt. Dieser habe ihm keinen Befehl gegeben, sondern geraten, das Wohl der Gläubigen zum Maßstab zu machen. Profittlich selbst schrieb an seine Familie: „Es geziemt sich ja wohl, dass der Hirte bei seiner Herde bleibt und mit ihr Freude und Leid gemeinsam trägt.“
Schönborn zitierte ausführlich aus Profittlichs Briefen, die seine innere Freiheit bezeugen. „Ich muss sagen, dass der Entschluss zwar einige Wochen der Vorbereitung kostete, ich ihn dann aber nicht etwa mit Furcht und Angst gefasst habe, sondern sogar mit großer Freude.“ Diese Freude, so der Kardinal, sei das Geheimnis christlicher Märtyrer – und das stärkste Gegenbild zu den menschenverachtenden Ideologien des 20. Jahrhunderts. Hitler und Stalin hätten Europa in den Abgrund gestürzt: „Die KZs und der Gulag waren der Ausdruck der äußersten Menschenverachtung. Welch ein Kontrast ist die Würde, mit der Erzbischof Profittlich sich den NKWD-Beamten überließ. Der Glaube gab ihm diese Ruhe und Festigkeit.“
Die Glaubenszeugen
Besonderes Gewicht legte Schönborn auf die christlichen Märtyrer des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. Papst Johannes Paul II. habe seinerzeit ein Martyrologium anlegen lassen, doch nach 20.000 Biografien sei die Arbeit abgebrochen worden – so groß war die Zahl der Glaubenszeugen. In Tallinn war diese Dimension vor der Seligsprechung Eduard Profittlichs unmittelbar spürbar: Von Donnerstag auf Freitag wurden im Kapitelsaal des Dominikanerklosters ununterbrochen die Namen von Esten verlesen, die infolge kommunistischer Repressionen ums Leben kamen. In 21 Stunden trugen 150 Vorleserinnen und Vorleser aus allen Lebensbereichen die Namen von 22.600 Opfern vor, die von Memento und dem Estnischen Institut für Historisches Gedächtnis identifiziert worden sind.
Die Feier am Samstag auf dem Freiheitsplatz in Tallinn war ein historisches Ereignis: Erstmals hat Estland einen Seligen. Bei strahlendem Sonnenschein versammelten sich mehrere hundert Gläubige, ein exzellenter Chor gestaltete die Liturgie musikalisch. Kardinal Schönborn zelebrierte auf Latein, entschuldigte sich nach dem Evangelium: „Mein Estnisch ist nicht existent, es ist aber eine schöne Sprache.“ Seine Predigt hielt er auf Englisch.
Unter den Konzelebranten waren der deutsche Erzbischof Georg Gänswein, päpstlicher Nuntius in den baltischen Ländern, sowie Bischof Stephan Ackermann von Trier, dem Heimatbistum Profittlichs. Die liturgische Farbe war rot, was auf das Blut der Märtyrer verweist. Ein Seminarist aus Essen las auf Deutsch die zweite Lesung aus dem Römerbrief: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“ Ein Leitwort, das im Leben und Sterben des neuen Seligen Erfüllung fand. Die estnische Theologin Marge Paas, Postulatorin des Verfahrens, verlas bei der Messe die Biografie des Jesuiten-Märtyrers. Mehr als zwei Jahrzehnte war an der Seligsprechung gearbeitet worden, unterstützt auch vom deutschen Bonifatiuswerk.
(vatican news – gs)
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