„Kommt her und schaut einander in die Augen“
Mario Galgano - Vatikanstadt
„Beeilt euch, dieser Wahnsinn muss ein Ende haben.“ Mit diesen Worten wandte sich der Großerzbischof von Kyiv, Swjatoslaw Schewtschuk, in einem eindringlichen Appell an die internationale Öffentlichkeit. Die Zerstörung in seinem Land sei nicht nur militärischer Natur, sondern ziele in erster Linie auf die Zivilbevölkerung: „Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Der Großerzbischof befindet sich derzeit in Rom, wo die Synode der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche im Päpstlichen Kolleg St. Josaphat tagt – parallel zur internationalen Wiederaufbaukonferenz URC2025.
Im Rahmen der Synode trafen 50 ukrainische Bischöfe mit Vertretern der italienischen Regierung zusammen. Thema war unter anderem die Rolle der Kirche beim Wiederaufbau der Ukraine. Schewtschuk würdigte die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge in Italien: „Das italienische Volk hat seine Herzen geöffnet.“ Eine halbe Million Menschen habe in Italien Schutz gefunden.
Weitreichende Zerstörung
Die ukrainische Kirche sehe sich heute mit weitreichender Zerstörung konfrontiert. Allein im Exarchat Donezk seien 50 von 80 Pfarreien nicht mehr funktionsfähig, erklärte Bischof Maksym Rjabucha. 670 Kirchen verschiedenster Konfessionen wurden seit Beginn des Krieges zerstört. Neben dem Wiederaufbau rücke nun verstärkt die seelische Heilung in den Fokus. „Um die Wunden des Krieges zu heilen, müssen Ärzte, Psychologen und Priester zusammenarbeiten“, so Schewtschuk. Die Bischöfe baten die italienische Regierung um fortgesetzte Unterstützung – auch im Hinblick auf internationale diplomatische Initiativen.
Ein zentrales Thema blieb die Suche nach Frieden. Dabei spielt der Heilige Stuhl eine besondere Rolle. „Das Wort ‚Frieden‘ war das erste, das Papst Leo XIV. nach seiner Wahl sprach“, betonte Schewtschuk. Der Papst habe nicht nur von Frieden gesprochen, sondern ihn auch verkörpert. Zwei konkrete Initiativen stünden im Mittelpunkt: Zum einen die Bereitschaft des Vatikans, als Ort für ernsthafte Friedensgespräche zu dienen; zum anderen die humanitäre Mission von Kardinal Matteo Zuppi, der sich für Gefangenenaustausch und die Rückführung getöteter Soldaten einsetzt.
Fortgesetztes Engagement
Zuppi war am Rand der Synode anwesend und betonte das fortgesetzte Engagement der italienischen Kirche: „Wir haben gemeinsam in die Zukunft geblickt, um zu verstehen, wie wir der Verzweiflung und Tragödie des Krieges mit christlicher Hoffnung begegnen können.“ Besonders tragisch seien die Berichte ehemaliger Gefangener: Einige seien schwer misshandelt worden, teils durch Hundeattacken schwer verletzt. Zuppi sprach sich für regelmäßige Besuche in Gefängnissen aus und betonte die Notwendigkeit, auch kleine humanitäre Schritte konsequent weiterzuverfolgen. Dabei nannte er die Rückführung nach Russland deportierter Kinder als ein zentrales Anliegen.
Am Vortag hatte Papst Leo Präsident Selenskyj in Castel Gandolfo empfangen und erneut seine Bereitschaft bekundet, Vertreter beider Konfliktparteien im Vatikan zu Gesprächen zu empfangen. „Kommt her und schaut einander in die Augen“ – diese Worte des Papstes zitierte Zuppi als Ausdruck des festen Willens zum Dialog.
Humanitäres Völkerrecht
Auch der Großmeister des Malteserordens, Fra' John T. Dunlap, appellierte auf der URC2025 eindringlich an die Einhaltung des humanitären Völkerrechts. „Die vorsätzlichen Angriffe auf Zivilisten und Helfer sind absolut inakzeptabel“, erklärte er. Der Malteserorden ist seit über 30 Jahren in der Ukraine tätig, seit 2022 mit verstärktem Einsatz. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Orden den psychischen Belastungen der Bevölkerung. Bis heute wurden über 60.000 psychologische Beratungen durchgeführt – für Kinder, Familien und Vertriebene. Auch körperlich versehrte Menschen erhielten Hilfe, etwa durch eine Prothesenklinik in Lemberg. Insgesamt beläuft sich das Engagement des Ordens auf über 80 Millionen Euro – das größte seit dem Zweiten Weltkrieg.
Bei der internationalen Wiederaufbaukonferenz in Rom steht nicht nur ökonomische und strukturelle Fragen im Fokus, sondern auch die Frage, wie der soziale Zusammenhalt gestärkt und wie Frieden überhaupt möglich werden kann. „Frieden kann nur entstehen, wenn wir ihn anstreben“, so Kardinal Zuppi. Die internationale Gemeinschaft müsse diesen Prozess aktiv begleiten. Der Papst habe diese Linie bekräftigt. Und so setzen viele in der Kirche weiterhin auf eine Kraft, die nicht aus Worten, sondern aus konkretem Einsatz erwächst – für einen Frieden, der mehr ist als ein diplomatisches Ziel: eine menschliche Notwendigkeit.
(sir/pm)
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