El Salvador: „Angst, sich öffentlich zu äußern"
Unter welchen politischen und gesellschaftlichen Umständen hat diese Verhaftung stattgefunden?
P. Martin Maier S.J.: Präsident Nayib Bukele regiert in El Salvador seit drei Jahren im Ausnahmezustand. Das heißt, die bürgerlichen Rechte sind aufgehoben. Er begründet das damit, dass er die Kriminalität bekämpfen möchte. El Salvador hat bis vor drei Jahren unter den Jugendbanden unheimlich gelitten. Es ist ihm gelungen, die Jugendbanden dadurch einzugrenzen, dass er inzwischen über 85.000 Menschen ins Gefängnis gesteckt hat – viele davon zu Unrecht.
Christosal, die Organisation, in der Ruth López arbeitet, setzt sich für die zu Unrecht Inhaftierten ein. Das stört die Regierung, das stört Bukele. Das mag der Grund gewesen sein, wieso sie jetzt inhaftiert wurde.
In der Vergangenheit hat die katholische Kirche in El Salvador eine ziemlich wichtige und auch teils oppositionelle Rolle gespielt. El Salvador ist eines der Zentren der Befreiungstheologie und hat mit Oscar Romero, dem Erzbischof von El Salvador, einen wichtigen Heiligen und Märtyrer hervorgebracht. Welche Rolle spielt die katholische Kirche heute?
P. Martin Maier S.J.: Die katholische Kirche in El Salvador ist weiter eine wichtige kritische Stimme, auch gegenüber der Politik der Regierung. Das hat sich vor kurzem gezeigt, als Präsident Bukele ein Gesetz, das die Ausbeutung von Gold in El Salvador verbietet, aufgehoben hat: Die Bischofskonferenz hat eine große Unterschriftenaktion organisiert, und die Bischöfe haben im März die Unterschriften, das waren 150.000, in der Nationalversammlung übergeben. Das zeigt, dass die Kirche nach wie vor ihre kritische Rolle so wahrnimmt, wie das Erzbischof Oscar Romero auch umschrieben hat: Stimme derjenigen zu sein in El Salvador, die keine Stimme haben.
Vor welchen Herausforderungen stehen denn Adveniat und andere kirchliche Hilfsorganisationen in El Salvador?
P. Martin Maier S.J.: Präsident Bukele hat vor kurzem in der Nationalversammlung ein Gesetz zur Kontrolle der Zivilgesellschaft verabschieden lassen. Das besagt, dass auf Gelder, die aus dem Ausland von Hilfsorganisationen kommen, 30 Prozent Steuern erhoben werden sollen. Das würde die Arbeit von Adveniat unmittelbar betreffen und sehr stören. Es ist noch nicht klar, ob auch kirchliche Hilfswerke davon betroffen sind. Da müssen wir abwarten. Aber es wäre fatal für Adveniat, wenn wir 30 Prozent unserer Hilfsgelder, Spendengelder, als Steuern abführen müssten.
Adveniat unterstützt Menschenrechtsprojekte in El Salvador. Ich war im Februar auf einer Dienstreise, und wir arbeiten in einer der Diözesen mit der Caritas zusammen an einem Rechtshilfeprojekt, wo es genau darum geht: zu Unrecht inhaftierte junge Menschen wieder frei zu bekommen.
Und was für eine Stimmung haben Sie vor Ort eingefangen?
P. Martin Maier S.J.: In El Salvador herrscht Angst, sich öffentlich zu äußern. Es wurden auch Journalisten verfolgt und inhaftiert. Es ist eine Situation der Repression, und es wiederholt sich in gewisser Weise das, was in den 1970er- und 1980er-Jahren der Fall war, damals unter einer Militärdiktatur: Die Menschenrechte werden verletzt und es besteht keine Meinungsfreiheit mehr. Das charakterisiert auch die Stimmung im Land. Man traut sich nicht mehr, am Telefon über alles zu reden, was einen bewegt, weil es Hinweise gibt, dass auch Telefone überwacht werden.
Nun gilt ja Präsident Bukele trotz dieses Einschränkens bürgerlicher Freiheiten bisweilen als relativ beliebt. Wie erklären Sie sich das?
P. Martin Maier S.J.: Bukele hat eben durch diese Massenverhaftungen oberflächlich die Sicherheitssituation zum Besseren verändert. Ich sage oberflächlich, weil die tieferliegenden Ursachen damit nicht gelöst und nicht berührt sind. Eines der Grundprobleme El Salvadors ist nach wie vor die extreme soziale Ungerechtigkeit mit einer superreichen Oberschicht, zu der auch Bukele gehört, und der großen Mehrheit der Bevölkerung, die in Armut lebt.
Dadurch, dass Bukele die Jugendbanden ausgetrocknet hat, hat sich die Sicherheitssituation verbessert – das muss man anerkennen. Das hat ihm Zustimmung unter der Bevölkerung eingebracht. Aber inzwischen nimmt diese Zustimmung ab, weil die Menschen spüren, dass es nicht möglich ist, Sicherheit auf Kosten von Rechtsstaatlichkeit herzustellen.
Nun hat der neue Papst Leo XIV. viel Erfahrung in Lateinamerika. Er hat als Kardinal vor der Abschiebung Hilfesuchender gewarnt, vor Abschottungslogik. Was erhoffen Sie sich von Leo XIV. für El Salvador und für andere Länder in Südamerika?
P. Martin Maier S.J.: Papst Leo XIV. hat in Peru Erfahrungen mit Ungerechtigkeit, mit Gewalt und Terror gemacht. Er hat sich auch dort entschieden auf die Seite der Opfer, auf die Seite der Armen gestellt. Für ihn ist auch der heilige Óscar Arnulfo Romero in dem Sinn ein Vorbild. Kardinal Rosa Chávez aus El Salvador, der im Vorkonklave in Rom war, hatte ihm nach seiner Wahl ein Bild vom heiligen Óscar Romero übergeben. Óscar Romero ist in Lateinamerika ein großer Heiliger der Option für die Armen, und eines Bischofs, der den Weg Jesu bis zur letzten Konsequenz gegangen ist.
Ich denke, dass auch Papst Leo XIV. mit Sorge darauf schaut, was im Moment in El Salvador geschieht: dass die Freiräume immer mehr eingeschränkt werden, dass die Zivilgesellschaft immer mehr unter Druck gerät, dass die Menschenrechte verletzt werden. Präsident Bukele hat ein schlimmes Abkommen auch mit dem US-Präsidenten Trump geschlossen, das regelt, dass Häftlinge aus den USA nach El Salvador überführt werden. Das ist geschehen, um sie dort in einem der Hochsicherheitsgefängnisse in El Salvador, wo unmenschliche Haftbedingungen herrschen, festzusetzen.
Das ist ein Deal: Für einen Häftling, der aus den USA nach El Salvador überführt wird, zahlt die US-Regierung 20.000 Dollar im Jahr. Damit versucht Bukele auch den Staatshaushalt in El Salvador zu sanieren. Das ist sein großes Problem: Die Staatskassen sind leer, und in dem Zusammenhang steht auch dieses Gesetz, die Gelder, die aus dem Ausland von Hilfsorganisationen kommen, zu besteuern.
Vor vier Jahren, 2021, hat er schon einen Anlauf gemacht. Damals hat der damalige deutsche Botschafter sehr klar dagegen Stellung bezogen und sagte, wenn dieses Gesetz durchgesetzt wird, dann werden auch keine öffentlichen Hilfsgelder von Deutschland mehr nach El Salvador kommen. Ich denke, man müsste daher auch politisch Druck auf Bukele ausüben.
Adveniat ist Mitglied im „Runden Tisch Zentralamerika“, wo Nichtregierungsorganisationen und Hilfswerke in Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengeschlossen sind. Wir haben schon eine Stellungnahme verabschiedet. Es ist wichtig, auch international Druck auf Bukele auszuüben und ihm deutlich zu machen, dass er Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einhalten muss.
Nun galt El Salvador einst als katholische Hochburg, aber unterdessen hat sich die christliche Gemeinschaft immer weiter aufgesplittert. Wie sieht die religiöse Landschaft heute in dem Land aus?
P. Martin Maier S.J.: In El Salvador hat der Anteil der Katholikinnen und Katholiken in der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten abgenommen. Es gab eine Zuwanderung zu den evangelikalen Pfingstkirchen. Das stellt die katholische Kirche vor die Frage: Was finden Menschen in diesen Pfingstkirchen, was sie in der katholischen Kirche nicht mehr finden?
Es ist aber auch so, dass vor kurzem ein Pastor einer evangelikalen Kirche verhaftet wurde, José Ángel Pérez, der an einer Protestdemonstration von Bauern teilnahm, die sich gegen eine mögliche Enteignung und Vertreibung wehren. Das steht auch im Zusammenhang mit der Festnahme von Ruth López, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen beschnitten, unter Druck gesetzt werden.
Wie positionieren sich diese evangelikalen Gruppen ansonsten politisch und gesellschaftlich?
P. Martin Maier S.J.: Das ist unterschiedlich. Es gibt evangelikale Kirchen, die dezidiert unpolitisch sein wollen – wobei man fragen kann, ob das überhaupt möglich ist, denn wer unpolitisch sein will, der stützt den Status quo. Es gibt aber auch evangelikale Kirchen, die für Menschenrechte und für Gerechtigkeit engagiert sind.
Nochmal im Hinblick auf diese religiöse Diversifizierung, nochmal zurück zu dem Papst: Was kann er für einen Einfluss nehmen aus seiner lateinamerikanischen Erfahrung auf diese Diversifizierung?
P. Martin Maier S.J.: Der heilige Óscar Romero sagte, dass die Kirche politisch in dem Sinn ist, dass sie politische Projekte aus der Perspektive der Armen beurteilt. Das kann auch eine Leitschnur für Papst Leo XIV. sein: dass er sich auf die Seite der Armen, dass er sich auf die Seite der Opfer stellt.
Für ihn ist Frieden ein zentrales Thema. Das war sein erstes Wort, auch wie er nach seiner Wahl auf der Loggia des Petersdoms gesprochen hat. Von daher denke ich, dass er eine prophetische Stimme im Geist von Óscar Romero für Gerechtigkeit, für Frieden, für Menschenrechte sein kann und sein wird.
Das Gespräch führte Luca Vazgec.
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