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Thomas Schwartz, Renovabis Thomas Schwartz, Renovabis 

Interview: So blickt der Osten Europas auf die Wahl in Deutschland

Auch im Osten Europas sieht man mit Interesse auf den Wahlkampf in Deutschland. Das sagte der Hauptgeschäftsführer von Renovabis, Thomas Schwartz, am Freitag bei einem Besuch im Studio von Radio Vatikan.

Nach Angaben des Geistlichen sehen Renovabis-Partner in Ländern des Ostens einige Prinzipien der bisherigen Bundesregierung kritisch: „beispielsweise die Fokussierung auf eine sogenannte feministische Entwicklungspolitik, feministische Außenpolitik, Genderorientierung“. Was die Unterstützung der Ukraine, namentlich der dortigen Zivilgesellschaft, betreffe, „haben die Partner gerade in der Ukraine in den letzten Monaten hin und wieder ein wenig Zweifel gehabt…“

Hier hören Sie das Interview mit Thomas Schwartz, Hauptgeschäftsführer des Hilfswerks Renovabis

Die Problematik der Migration müsse „in europäischer Solidarität“ gelöst werden. „Gerade wenn das größte Land der Europäischen Union im Grunde diese lang gepflegte Haltung der Solidarität nicht mehr zu haben scheint… Ob sie wirklich verändert wird, mag ich nicht zu sagen“, so Schwartz. „Aber das sind Ängste und Sorgen, weil das natürlich dann wieder beispielsweise in die Länder der Balkanroute ‚zurückschwappen‘ könnte. Und diese Länder sind eh schon in vielerlei Hinsicht überfordert.“

Renovabis ist das Osteuropa-Hilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland.

Kirche in Kyiv
Kirche in Kyiv   (AFP or licensors)

„Die Ukraine wünscht sich schon, stärker in den Fokus genommen zu werden“


Interview

In Deutschland, aber natürlich auch draußen in Ihren Renovabis-Partnerländern schauen sehr viele Menschen interessiert – manche mit Sorge, manche vielleicht mit Hoffnungen – auf die bevorstehenden Bundestagswahlen. Erst recht jetzt, in diesen aufgeheizten Tagen rund um die Migrationsdebatte im Deutschen Bundestag. Welche Hoffnungen erleben Sie denn bei den Menschen in Ihren Partnerländern?

„Was ich ganz stark merke, ist, dass die Menschen in den Partnerländern hoffen, dass mit einer neuen Bundesregierung ihre Anliegen, ihre Probleme, ihre Sorgen (gerade in den Kandidatenländern, aber auch in den anderen östlichen Ländern der Europäischen Union) wieder stärker fokussiert und in den Blick genommen werden. Und das gilt nicht nur im Blick darauf, dass das Bedrohungsszenario durch den Krieg in der Ukraine jetzt für viele Länder viel größer geworden ist. Das gilt auch in der Hinsicht, dass es natürlich Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und auf die Situation der Wirtschaft in den östlichen Ländern der Europäischen Union und nachgerade in den Kandidatenländern haben wird, wenn die größte Volkswirtschaft Europas ins Schlingern gerät und im Schlingern bleibt.“

Wer macht sich denn da die größten Sorgen? Ist das vielleicht die Ukraine angesichts des Krieges?

„Die Ukraine wünscht sich schon, stärker in den Fokus genommen zu werden. Sie hofft auch, dass die neue Bundesregierung wesentlich offener gegenüber den Ansprüchen oder den Wünschen im Blick auf Militärhilfe ist. Es ist nicht die Aufgabe von Renovabis, das zu kommentieren; wir haben zusammen mit unseren Partnern genug zu tun, um humanitäre Hilfe zu organisieren, um die psychosozialen Traumata, die in diesem Land millionenfach in die Familien hineingekommen sind, irgendwie abfangen zu helfen, um wieder Hoffnung in das Land zu bringen, so dass ich eigentlich nicht sagen möchte oder sagen muss: Hier braucht es auch noch mal eine größere Glaubwürdigkeit in der Unterstützung bei der Militärhilfe... Aber unsere Partner in der Ukraine, die wünschen sich das durchaus von einer neuen Bundesregierung!“

„Hier ist in den letzten Jahren oftmals ein bisschen der Eindruck entstanden, dass das Ganze sozusagen paternalistisch geschieht“

Nun ist ja Deutschland in wirtschaftlicher, auch in entwicklungspolitischer Hinsicht ein Elefant in Europa. In welcher Hinsicht würde es denn einen Unterschied machen, ob, sagen wir mal, eine jetzige SPD-geführte Koalition oder eine womöglich künftige unionsgeführte Koalition agiert? Ist das nicht für die Partnerländer von Renovabis mehr oder weniger dasselbe?

„Ich kann hier jetzt nicht eine eigene Position beziehen, weil wir bislang auch mit der Bundesregierung und dem BMZ und unseren Partnern in Berlin immer vertrauensvoll zusammengearbeitet haben. Aber was ich natürlich wahrnehme, ist, dass unsere Partner einige Prinzipien der bisherigen Bundesregierung kritisch beäugen: beispielsweise die Fokussierung auf eine sogenannte feministische Entwicklungspolitik, feministische Außenpolitik, Genderorientierung. Das wird uns immer wieder, sagen wir mal, ‚um die Ohren geschlagen‘ als eine Einmischung in die Entwicklungspolitik, die eigentlich das Land selber (…) und die Partner, mit denen wir in den Ländern zusammenarbeiten, entwickeln wollen. Hier ist in den letzten Jahren oftmals ein bisschen der Eindruck entstanden, dass das Ganze sozusagen paternalistisch geschieht. Und dagegen entstehen natürlich auch Ressentiments.

Diese Ressentiments wieder abzubauen, indem man sagt: ‚Nein, wir wollen auf Augenhöhe tatsächlich mit euch, mit eurem Land, eure Zivilgesellschaft, eure Rechtsstaatlichkeit, eure Wirtschaft weiterentwickeln, damit ihr auch wirklich Teil dieses großen Kontinents der Hoffnung Europa werden könnt‘ – das ist, glaube ich, schon etwas, was sie und was auch wir von der nächsten Bundesregierung erhoffen dürfen.“

  (JOHANNA GERON)

„Es ist schon der große Wunsch da, dass Deutschland seine aktive Rolle in der EU wirklich spielt“

Setzen die östlichen Länder in Europa wirklich auf eine aktive Rolle Deutschlands in der EU? Oder ist die ihnen eher unangenehm?

„Also, es ist schon der große Wunsch da, dass Deutschland seine aktive Rolle in der EU wirklich spielt. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft, das größte Land, die größte Bevölkerung, und was in der EU geschieht, wird natürlich auch von diesem Elefanten, von diesem Tanker Deutschland mitbestimmt. Von daher hoffen und wünschen sich unsere Partner, dass die Bescheidung, die Bescheidenheit teilweise ein wenig zurückgenommen wird und dass die Bereitschaft wächst, sich auch für die Gestaltung der Europäischen Union einzusetzen – auch im Blick auf Entwicklungen, die eher negativ gewesen sind, also eine überbordende Bürokratie, beispielsweise…“

Hatten Sie Reaktionen aus den Renovabis-Partnerländern – womöglich von kirchlichen Ansprechpartnern dort – auf die derzeitige deutsche Debatte zur Migrationspolitik?

„Die Sorge über die Migrationspolitik ist ein europäisches Problem, nicht das Problem eines einzelnen Landes. Was man allerdings immer mehr sieht, ist die Tendenz, dass nationale Alleingänge meinen: Diese Problematik, die man am besten wirklich nur europäisch – in einer europäischen Solidarität – lösen könnte, könnte jetzt durchbrochen werden. Gerade wenn das größte Land der Europäischen Union im Grunde diese lang gepflegte Haltung der Solidarität nicht mehr zu haben scheint… Ob sie wirklich verändert wird, mag ich nicht zu sagen. Aber das sind Ängste und Sorgen, weil das natürlich dann wieder beispielsweise in die Länder der Balkanroute ‚zurückschwappen‘ könnte. Und diese Länder sind eh schon in vielerlei Hinsicht überfordert.“

„Unterstützung, couragiert – damit ein gerechter Friede für die Ukraine möglich wird. Ein Friede, bei dem die Souveränität dieses Landes gewahrt bleibt“

Stichwort Westbalkan: Die bisherige Bundesregierung hat sich sehr für die EU-Osterweiterung und die Erfüllung entsprechender Zusagen an die Westbalkanstaaten engagiert. Gibt es die Befürchtung bei Ihren Partnern, dass eine konservativ geführte mögliche künftige Regierung da zurückhaltender sein würde?

„Nein, das glaube ich nicht. Die Konservativen, also CDU/CSU, gelten ja eigentlich auch in Europa immer als die Europapartei, und Figuren wie Konrad Adenauer, Angela Merkel, aber auch ein Friedrich Merz, der als Europaabgeordneter ja einmal seine Karriere in der Politik begonnen hat, stehen, glaube ich, schon dafür, dass diese Europaausrichtung auch weiter gesehen wird. Da hat man eigentlich keine Sorge. Im Gegenteil, man wünscht sich sogar noch einmal eine Verstärkung dieser Aufmerksamkeit, weil eben auch Osteuropa mehr im Fokus sein wird!“

Halb präsent und doch wieder ohne große Rolle in diesem Wahlkampf ist die Haltung zur Ukraine, zu möglichen Friedenslösungen, zur Militärhilfe. Wir haben sie eben schon angesprochen. Was erwartet sich der Osten Europas? Schneidiges Weiterrüsten, oder feiges Fühlerausstrecken nach Friedensverhandlungen?

„Ich glaube, weder das eine noch das andere – diese beiden Alternativen sind ja im Grunde die Extrempunkte, die man nicht haben möchte, sondern die couragierte Unterstützung des Wegs in die Europäische Union und vielleicht auch in die NATO, aber zunächst mal in die Europäische Union für die Ukraine. Die Unterstützung der Zivilgesellschaft, die gerade in der jetzigen Situation (ich war ja erst im Dezember wieder in der Ukraine) sehr stark unter diesem Kriegsrecht leidet, weil die Einschränkungen natürlich auch die Gruppierungen betreffen, die eigentlich ein blühendes kulturelles, aber auch politisches Leben möglich gemacht haben. Also: Unterstützung, couragiert – damit ein gerechter Friede für die Ukraine möglich wird. Ein Friede, bei dem die Souveränität dieses Landes gewahrt bleibt. Bei dem eine Ausrichtung der Menschen nach Westen, wo sie hinwollen, nach Europa hin Wirklichkeit wird. Und bei dem Garantien, und zwar feste, glaubwürdige Garantien für die Sicherheit der Menschen, wo immer sie in der Ukraine leben, auch tatsächlich wahrgenommen und spürbar werden: Das ist das, was man erwartet. Und da haben die Partner gerade in der Ukraine in den letzten Monaten hin und wieder ein wenig Zweifel gehabt…“

„In allen Ländern Mittelosteuropas hat die Religion eine deutlich größere Bedeutung als bei uns im Westen“

Ist der deutschen Politik der Faktor Religion im Osten Europas bewusst genug?

„Ich glaube, der Politik ist selbst der Faktor im Inland nicht mehr bewusst! Dafür haben wir als Kirchen natürlich selber genügend getan, um diese Relevanzverluste wachsen zu lassen… Aber in der Tat: In allen Ländern Mittelosteuropas hat die Religion eine deutlich größere Bedeutung als bei uns im Westen. Das gilt besonders in den Kandidatenländern der Ukraine, auch in Georgien oder in Moldawien, wo die Menschen im Grunde gerade angesichts ihrer schweren Probleme, mit denen sie sich tagtäglich konfrontiert sehen, natürlich in der Religion auch Kraft empfinden, um die Probleme zu bewältigen und den nächsten Tag anzugehen. Und eine Entwicklungspolitik und eine Außenpolitik, die den Faktor Religion nicht mehr ernst nimmt, verkennt die Realitäten in den Ländern, mit denen sie eigentlich in ein konstruktives und vorwärts schauendes Miteinander sich begeben möchte!“

Die Fragen stellte Stefan von Kempis von Radio Vatikan.

(vatican news)
 

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01. Februar 2025, 09:32