Glauben, der hoch hinaus bringt - Zur Heiligsprechung von Pier Giorgio Frassati
von Birgit Pottler - Vatikanstadt
?Verso l’alto – Hinauf in die Höhe“ - im Glauben und im Leben. Dafür steht Pier Giorgio Frassati. Nicht für das einsame Höherkommen auf der Karriereleiter, sondern für den Aufstieg im Alltag: das Leben in all seinen Facetten auf eine höhere Stufe heben und die Welt ein Stück besser machen.
Am 4. Juli 1925 starb Pier Giorgio Frassati mit nur 24 Jahren in Turin. Hundert Jahre später inspiriert dieser Student, Alpinist, Dominikaner-Laie und Christ immer noch unzählige Menschen weltweit. Papst Leo XIV. wird ihn am 7. September heiligsprechen. Papst Johannes Paul II. sprach ihn 1990 selig und nannte ihn bei dieser Gelegenheit den ?Mann der acht Seligpreisungen“.
Leo XIV. formulierte es bei den Heilig Jahr-Feiern für den Sport so: ?Sein einfaches und leuchtendes Leben erinnert uns daran, dass niemand als Champion geboren wird, so wie niemand als Heiliger geboren wird. Es ist das tägliche Training der Liebe…das uns dazu befähigt, am Aufbau einer neuen Welt mitzuwirken.“
Anders als die Familie
Geboren wurde Frassati am 6. April 1901 in Turin. Er wuchs in einer einflussreichen Familie auf. Sein Vater Alfredo war Journalist und Politiker, Mitbegründer der liberalen Zeitung La Stampa und zeitweise italienischer Botschafter in Berlin; die Mutter Adelaide Ametis war Künstlerin. Das Umfeld war großbürgerlich, freigeistig. Frassati entschied sich anders: Schon als Schüler besuchte er täglich die Messe, betete, las geistliche Texte. Geistliches Leben, so heißt es in den Akten zur Heiligsprechung, war für Frassati kein Rückzug, keine Flucht, sondern Antrieb für sein Handeln in der Welt. Jede Begegnung, jeder Aktion war Gelegenheit, den Glauben zu leben und andere dazu zu bewegen.
Pier Giorgio besuchte Theater, liebte Literatur, Musik, Kunst. Früh engagierte er sich sozial. Das industrielle Turin bot Gelegenheiten – und Not. Als er später Ingenieurswissenschaften studierte, verband er technische Leidenschaft und spirituellen Antrieb. Er wollte in den Bergbau, um unter den Arbeitern Christus zu bezeugen.
In Deutschland ?zu Hause“
Während der Botschafterzeit seines Vaters lebte Pier Giorgio zeitweise in Berlin und Freiburg. Er knüpfte Kontakte zu katholischen Studenten und lernte die soziale Not der Großstädte kennen. Beeindruckt war er vom Wirken des Berliner Priesters Karl Sonnenschein, der in den Armenvierteln wirkte und als ?Apostel Berlins“ galt.
An Freunde schrieb Frassati später: ?Ich fühle mich in Turin mehr wie ein Fremder als in Deutschland.“ Dem Land blieb er verbunden, schickte Geld aus Turin, damit Freunde in Berlin Kindern helfen konnten. Frassati besuchte auch das Ruhrgebiet und begegnete Minenarbeitern. 1923 schrieb er: ?In zwei Jahren werde auch ich, wenn Gott mir das Leben gewährt, im Ruhrgebiet arbeiten.“ Nach dem Studienabschluss, so der Plan, wolle er als Katholik ?den Deutschen so weit wie möglich helfen”. Doch Frassati starb vorher.
Die Vossische Zeitung würdigte ihn nach seinem Tod 1925 als ?besonders sympathischen jungen Mann“, der sich in Berlin ?beliebt gemacht“ habe. ?Er zeigte ein außergewöhnliches Interesse an allen deutschen politischen und wirtschaftlichen Fragen.“
?Verso l’alto“: Berg und Evangelium
Die Berge waren seine Leidenschaft. Frassati bestieg mit seinen Freunden die Gipfel der Westalpen, den Gran Paradiso, den Mont Blanc oder auch kleinere piemontesische Gipfel. Aber Bergsteigen war kein sportlicher Ehrgeiz, sondern ein Bild für das Leben und den Glauben: ?Verso l’alto“ – ?Hinauf in die Höhe“– schrieb er auf ein Foto vom Bergsteigen. Damit meinte er nicht nur die Berggipfel, sondern auch den inneren Weg: den Aufstieg wagen, nicht auf halbem Wege stehenbleiben, sondern nach oben streben.
?Jeden Tag neu verliebe ich mich in die Berge“, ist von ihm überliefert. ?Ich möchte ganze Tage auf den Gipfeln verbringen, um in dieser reinen Luft die Größe des Schöpfers zu betrachten.“ Briefe und Berichte seiner Freunde in den Heiligsprechungsdokumenten legen nahe: ?Verso l’alto“ ist nicht nur ein Foto-Schnappschuss mit schnell dahin geschriebener Widmung, sondern ein Motor seiner Spiritualität.
?Vivere, non vivacchiare“ – leben statt dahindämmern
Frassati wird als fröhlicher Mensch beschrieben, als lebensfroh – aus dem Glauben heraus. ?Vivere, non vivacchiare“ ist das zweite Motto, der zweite Motor seiner Spiritualität. ?Leben, nicht bloß existieren“, könnte man frei übersetzen. Im Italienischen meint vivacchiare wörtlich ?dahinvegetieren“. Menschen ohne Glauben würden dies tun, schrieb er wenige Monate vor seinem Tod an einen Freund. Christen müssten leben. ?Wir dürfen niemals dahinvegetieren, sondern müssen leben, denn auch durch jede Enttäuschung hindurch müssen wir uns daran erinnern, dass wir die Einzigen sind, die die Wahrheit besitzen, dass wir einen Glauben zu verteidigen haben, eine Hoffnung, die wir erreichen müssen…“
Diese Hoffnung machte ihn froh. In einem weiteren Brief heißt es: ?Du fragst mich, ob ich fröhlich bin? … Solange der Glauben mir Kraft gibt, werde ich immer fröhlich sein. Die Traurigkeit muss aus den Herzen der Katholiken verbannt werden.” Trauer kannte Frassati und ließ sie auch zu. Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit nicht.
Schon eher sah er mit einem Augenzwinkern auf sich selbst. Die Gruppe Freunde, mit der in der die Berge ging, nannte er ?Tipi Loschi“, auf Deutsch so viel wie ?Zwielichtige Typen“.
Paulus als Leitstern – ?la retta via“
Die Wurzeln seiner Spiritualität lagen unter anderem in den Paulusbriefen. Einem Freund schrieb er: ?Ich möchte, dass auch du versuchst, den heiligen Paulus zu lesen: Er ist wunderbar und die Seele erhebt sich bei dieser Lektüre. Wir finden darin den Ansporn, den geraden Weg weiterzugehen – und sobald wir ihn durch die Schuld verlassen haben, wieder auf ihn zurückzukehren.“
?La retta via“ – der gerade, der richtige Weg – wurde für Frassati zum Wegweiser seines inneren Lebens. Von hier versteht man, warum ?verso l’alto“ kein flotter Slogan ist, sondern geistliche Ausrichtung.
Auch die Beichte gehörte dazu, zwei- bis dreimal pro Woche. Man könnte das für übertrieben halten, schreibt die Kommission zur Heiligsprechung. Aber Pier Giorgio sei ?rigoros“ gewesen, ohne ?verbissen“ zu sein: ?Er nahm das Evangelium ernst. Er hatte verstanden, dass man nicht ,verso l’alto‘ leben kann, wenn man den Blick auch nur gelegentlich nach unten richtet“.
Dominikaner-Tertiar – Laien-Ordensweg mit Wirkung
1922 trat Frassati in Turin als Laie in den Dritten Orden der Dominikaner ein und nahm den Namen ?fra Girolamo“ an, in Anlehnung an den Reformprediger Girolamo Savonarola. Sein Glaubensleben verband er mit Studium, Gebet und sozialem Engagement. Dieses Profil des Dritten Ordens – Kontemplation und Aktion – blieb für ihn bis zum Schluss tragend, so dass die Heiligsprechungskommission auch Frassatis Vorbild für heutige Dominikaner-Laien unterstreicht: ?Er verkörpert, was es heißt, als Laie in der Welt kontemplativ und aktiv zugleich zu leben.“
?Normal“: Nähe zu Kranken und Armen
Sein soziales Engagement war konsequent, aber ohne Aufsehen zu erregen. Nacht für Nacht brachte er Lebensmittel, Kleidung oder Medikamente zu Bedürftigen. Er besuchte Kranke, Einsame, Sterbende – diskret, ohne Öffentlichkeit. Für ihn war das selbstverständlich und ?nichts Außergewöhnliches“.
Als er im Juni 1925 an Kinderlähmung erkrankte, bat er darum, dass die für ihn bestimmten Medikamente an ?seine Armen“ verteilt würden. Er starb am 4. Juli. Erst bei seiner Beerdigung wurde vielen bewusst, wie weitreichend sein Engagement war. Die Familie hatte mit einem ?ruhigen“ Begräbnis gerechnet, aber es kam ?eine unübersehbare Menschenmenge“ und besonders viele Bedürftige begleiteten ihn, heißt es in den Berichten zur Beerdigung.
Echo in Deutschland – Karl Rahner erinnert sich
Auch für den deutschen Theologen Karl Rahner, der ihn als Jugendlicher in Freiburg kennenlernte, war Frassati prägend. Rahner erinnerte sich später an die Begegnungen mit Worten, die zu dem von Frassati gezeichneten Bild passen: ?Was an ihm verblüffend war, war seine Reinheit, sein strahlender Frohsinn, seine Religiosität, die ?Freiheit der Kinder Gottes‘, … sein Sozialsinn … Und das Überraschendste: dass all das in ihm so natürlich und spontan wirkte.“
Frassati heute: Netzwerke und -wege
Frassati war kein Einzelgänger, sondern der Turiner Schüler und Student stand inmitten der katholischen Laienbewegungen seiner Zeit an der Universität, in der Pfarrei, in sozialen und politischen Jugendbewegungen. Auch hier verband er Glaube und Engagement. Heute ist er Schutzpatron der italienischen Laienbewegung Azione Cattolica, der Katholischen Studierenden und des Sports. Weltweit gibt es so genannte Frassati-Gruppen, die Gebet, sozialen Einsatz und Naturerlebnisse verbinden.
Sein bergsteigerisches Vermächtnis ist begehbar: In Italien entstanden ab 1996 in allen Regionen des Landes Wanderwege, die nach Pier Giorgio Frassati benannt wurden und an ihn erinnern: 22 Wege, 518 km, 63 Gemeinden. Das Projekt verbindet Natur, Bildung, Glaube – und lädt buchstäblich dazu ein, ?verso l’alto“ zu gehen.
Heiligkeit ist jung
Frassati war keine weltabgewandte Ausnahmeerscheinung. Er studierte, rang mit trockenen Fächern – wechselte wegen ungenügender Lateinleistungen auch einmal die Schule, liebte Freunde, Sport, Musik. ?Vivere, non vivacchiare“ – leben, nicht dahinvegetieren – war sein Maßstab; ?verso l’alto“ sein Kompass.
Nicht elitär, nicht vergeistigt, sondern alltagstauglich, Schritt für Schritt: Pier Giorgio war erst 24 Jahre alt, als er starb. Die Heiligsprechung am 7. September – zusammen mit Carlo Acutis – will sagen: Heiligkeit ist möglich, und sie ist jung. Heiligkeit zeigt sich nicht auf dem Siegertreppchen, sondern im Alltag.
(vatican news)
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