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Kardinal O'Malley Kardinal O'Malley 

Vatikan: „Missbrauchs-Betroffene und ihre Familien an erste Stelle stellen"

Papst Leo hat die Päpstliche Kinderschutzkommission an diesem Donnerstag in ihrem Engagement im Safeguarding-Bereich ermutigt. Nach dem Austausch zwischen Papst und den Fachleuten sprach Radio Vatikan mit Kardinal Seán O’Malley, dem langjährigen Leiter der Kommission.

Christopher Wells - Vatikanstadt

Der Kardinal betonte in dem Interview, dass die Prioritäten der Kirche in Bezug auf die Prävention von Kindesmissbrauch „die gleichen wie immer“ seien: „Wir versuchen, die Opfer und ihre Familien an die erste Stelle zu setzen“, so der emeritierte Erzbischof von Boston, der die Päpstliche Kinderschutzkommission seit ihrer Gründung 2014 durch Papst Franziskus leitet und nun - mit bald 81 Jahren - vor der Ablösung steht. Er hob zudem die Notwendigkeit von Transparenz, Rechenschaftspflicht und Bildung als Prioritäten der Kirche hervor - die Fürsorge und der Schutz von Kindern und jungen Menschen müssten im Mittelpunkt der Mission der Kirche stehen. Menschen würden nur dann auf die Botschaft der Kirche hören, „wenn sie davon überzeugt sind, dass wir uns um sie kümmern“ und „sich um die Sicherheit ihrer Kinder sorgen“.

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Interview

Kardinal O'Malley, können Sie uns etwas über die Arbeit erzählen, die Sie in den Jahren seit der Gründung der Kommission geleistet haben?

Es war ein großes Privileg, der Kommission so viele Jahre lang anzugehören und während dieser ganzen Zeit ihr Vorsitzender gewesen zu sein. Die Kommission wurde eigentlich auf Wunsch von Papst Franziskus gegründet. Wir hatten eine Art Dreier-Interaktion: die Kommission setzte sich aus drei Gruppen von Personen zusammen, die Menschen aus der ganzen Welt vertraten, viele von ihnen mit einem reichen Erfahrungsschatz im Kinderschutz. Unter den Mitgliedern der Kommission waren immer auch Überlebende und Eltern von Überlebenden. Dies war sehr wertvoll, um unsere Arbeit realistisch zu halten und mit den Opfern in Kontakt zu bleiben, und um ihre Erfahrungen zu verstehen, wie die Kirche auf die Probleme des Missbrauchs durch Geistliche reagiert hat und damit umgegangen ist.

Wie hat sich die Arbeit der Kommission über die Jahre entwickelt?

In den letzten Jahren hat sich die Arbeit der Kommission gewissermaßen weiterentwickelt. Unser Hauptzweck war es, den Heiligen Vater auf dem Gebiet des Safeguarding zu beraten. Wir haben uns auch sehr an den Bildungsbemühungen der Kirche beteiligt, vor allem bei den Führungskräften, um ihnen zu helfen, Safeguarding zu verstehen. Wir haben uns der Überprüfung und Entwicklung von Richtlinien und Protokollen zur Förderung des Safeguarding und des Schutzes von Kindern und Minderjährigen gewidmet.

Vor kurzem haben wir uns auch der Erstellung eines Jahresberichts gewidmet, in dem wir zu bewerten versuchen, was in der Kirche in Bezug auf Safeguarding geschieht, was erfolgreich war und was fehlt. In den letzten zwei Jahren haben wir uns besonders mit der Kirche im globalen Süden befasst, wo das Thema Safeguarding erst jetzt diskutiert wird und wo viele Kirchen nur über geringe Ressourcen verfügen. Und so hat die Kommission einen Fonds eingerichtet. Wir haben Hilfe von verschiedenen katholischen Bischofskonferenzen und Stiftungen erhalten, um Memorare-Zentren zu finanzieren, in denen Menschen in diesen Ländern geschult werden, um ihnen bei der Umsetzung von Maßnahmen zu helfen und ihnen zu zeigen, wie sie Beschwerden entgegennehmen und sich um die Opfer, ihre Familien und Gemeinden kümmern können.

„Denn wir wurden oft als Außenseiter, als zu unabhängig angesehen. Und jetzt haben wir ein neues Tor, um mehr Dialog mit den verschiedenen Dikasterien zu führen und zur Förderung einer Kultur der Vormundschaft im Vatikan beizutragen.“

All diese Dinge haben sich also im Laufe der Jahre entwickelt, und mit der (Apostolischen Konstitution zur Kurienreform, Anm.)  ist die Kommission, die vorher sehr unabhängig, ja fast separat war, nun Teil des Dikasteriums für die Glaubenslehre geworden. Das hat uns neue Horizonte eröffnet, denn wir wurden oft als Außenseiter, als allzu unabhängig angesehen. Und jetzt haben wir ein neues Tor, um mehr Dialog mit den verschiedenen Dikasterien zu führen und zur Förderung einer Kultur der Vormundschaft im Vatikan beizutragen.

In den vergangenen Jahren waren wir mit den Ad-Limina-Besuchen sehr beschäftigt. Alle fünf Jahre trifft jede Bischofskonferenz in Rom mit den Leitern der Dikasterien und dem Heiligen Vater zusammen und legt Rechenschaft darüber ab, was in ihren Diözesen in den vergangenen fünf Jahren geschehen ist. Unsere Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass der Schutz der Kinder Teil dieses Berichts ist. Es war sehr nützlich, an diesen Ad-Limina-Besuchen teilzunehmen, bei denen die Bischöfe die Mitglieder der Kommission trafen. Und es war sehr erfreulich, das Interesse und den Wunsch der Bischöfe zu sehen, mehr zu erfahren und Hilfe in diesem Bereich zu erhalten.

Leider haben sich die Bischöfe oft zu sehr isoliert und versucht, besonders schwierige Entscheidungen und Leitungsentscheidungen im Alleingang zu treffen. Dies kann zu vielen Fehlern, manchmal zu Untätigkeit führen. Daher war der Versuch, die Bischofskonferenzen zu stärken und eine stärkere Beteiligung der Laien am Schutz in den Diözesen der Welt zu fördern, meiner Meinung nach ein sehr wichtiger Beitrag der Kommission.

Sie erwähnten die Jahresberichte, die einen neuen Teil Ihrer Arbeit darstellen. Können Sie uns sagen, was der nächste Bericht enthalten wird?

Im Oktober hoffen wir, den Jahresbericht für 2024 veröffentlichen zu können. Das Hauptthema wird Wiedergutmachung und „Bekehrungsgerechtigkeit“ sein. Der Bericht ist eine Synthese aus den Treffen der Ad-Limina-Besuche in 22 verschiedenen Ländern und zwei Ordensgemeinschaften, bei denen wir die Gelegenheit hatten, mit diesen Gemeinschaften, diesen Bischofskonferenzen, über den Schutz sowie die Statistiken, ihre Politik, deren Umsetzung, die Herausforderungen und die Fehler zu sprechen.

Auf diese Weise können wir die Transparenz in der Kirche weiter fördern, damit die Menschen sehen, was geschieht, die guten Dinge ebenso wie die Mängel. Und ich denke, dass der Jahresbericht in Zukunft ein sehr wichtiger Teil unserer Aufgabe sein wird.

Der Jahresbericht soll Aufschluss geben über Fortschritte in den Ortskirchen
Der Jahresbericht soll Aufschluss geben über Fortschritte in den Ortskirchen

Sie sprachen über Ihre Rolle als Berater des Heiligen Vaters im Bereich des Schutzes. Können Sie uns sagen, welche Prioritäten die Kirche heute bei der Prävention von Kindesmissbrauch setzt?

Ich denke, die Prioritäten sind dieselben wie immer. Ich meine: Wir versuchen, die Opfer und ihre Familien an die erste Stelle zu setzen. Aber natürlich geht es auch um Transparenz. In der Vergangenheit bestand das schlimmste Verhalten der Kirche darin, Verbrechen zu vertuschen und sie nicht anzuzeigen. Die Zusammenarbeit mit den zivilen Behörden ist also ein sehr wichtiger Schritt nach vorne: Transparenz; die Menschen wissen lassen, was geschieht; Verantwortungsbewusstsein; und die Bedeutung eines ganzen Erziehungsprozesses in der Kirche, damit die Menschen verstehen, dass die Kirche durch ihre Mission ein Ausdruck der Liebe und Barmherzigkeit Gottes sein muss und dass aus diesem Grund die Fürsorge und der Schutz von Kindern und Jugendlichen im Mittelpunkt unserer Mission stehen müssen. Und, wie ich schon sagte, werden die Menschen nur dann auf unsere Botschaft hören, wenn sie davon überzeugt sind, dass wir uns um sie kümmern. Dass wir uns um ihre Kinder kümmern, dass wir uns um die Sicherheit ihrer Kinder kümmern. Das sind also die ständigen Prioritäten. 

Papst Franziskus wollte natürlich diesen Gipfel vor ein paar Jahren (den ersten internationalen Missbrauchsgipfel im Vataikan, Februar 2019, Anm.), brachte die Leiter aller Bischofskonferenzen zusammen und forderte sie auf, diese Dinge ernst zu nehmen. Auch das war ein wichtiger Schritt nach vorn. Im globalen Süden fangen viele Länder gerade erst an, sich damit auseinanderzusetzen, und die Kommission ist besonders engagiert, ihnen dabei zu helfen...

„In der Vergangenheit bestand das schlimmste Verhalten der Kirche darin, Verbrechen zu vertuschen und sie nicht anzuzeigen. Die Zusammenarbeit mit den zivilen Behörden ist also ein sehr wichtiger Schritt nach vorne.“

Tatsächlich haben wir in den letzten Jahren ein wachsendes Bewusstsein in der Kirche festgestellt. Wir haben auch das Engagement aller Päpste der letzten Zeit gesehen, nicht nur von Papst Franziskus, sondern auch von Benedikt XVI. und Johannes Paul II. Können Sie sagen, dass das Engagement der Päpste mit einem neuen Bewusstsein in der Kirche einherging? Und welche Zeichen der Hoffnung sehen Sie für die kommenden Jahre?

Ich denke, die Erklärungen der Päpste waren sehr wichtig. Natürlich haben die weltlichen Medien und auch die kirchlichen Medien sehr dazu beigetragen, die Menschen für diese Themen zu sensibilisieren. Es war sicherlich ein sehr schmerzhafter, aber wichtiger Prozess. Es ist die Wahrheit, die uns frei machen wird, sagt das Evangelium. Die Rolle der Medien war sehr wichtig.

„Es ist die Wahrheit, die uns frei machen wird, sagt das Evangelium. Die Rolle der Medien war sehr wichtig.“

Aber das stößt bei den Katholiken oft auf Skepsis: ‚Das ist doch Anti-Katholizismus‘. Oder ‚es geht nur um Geld‘ oder ‚das sind Lügen‘. Als sich die Päpste einschalteten, um Transparenz und Vergebung baten und den Opfern begegneten, trug dies dazu bei, das Bewusstsein der Katholiken und der Menschen in aller Welt zu schärfen".

Und obwohl der Kirche viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wurde in letzter Zeit, zumindest in den [Vereinigten Staaten], auch den Pfadfindern, öffentlichen Schulen oder Sportgruppen viel Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist also ein menschliches Problem. Aber diejenigen von uns, die in der Kirche sind, sehen, wie schrecklich es ist, wenn dies innerhalb der Kirche geschieht; es ist das, was die Menschen als eine Art Verrat an ihrem religiösen Gefühl, ihrer Hingabe und ihrem Glauben empfinden. Es gibt fast noch eine andere Dimension, die in vielerlei Hinsicht den Missbrauch noch schrecklicher macht.

Möchten Sie noch etwas hinzufügen?

Ich möchte nur noch hinzufügen, dass es für mich ein großes Privileg war, all die Jahre in der Kommission zu arbeiten und mit so außergewöhnlichen und engagierten Menschen in unserem Stab, den Mitgliedern der Kommission, zusammenzuarbeiten. Und ich bin Papst Franziskus sehr dankbar, dass er die Kommission eingerichtet und unterstützt hat. Ich weiß, dass sich die Kommission darauf freut, in Zukunft mit Papst Leo zusammenzuarbeiten.

(vatican news)

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05. Juni 2025, 15:59