Pal?stinensische Christen im Vatikan: ?Wir erleben dunkle Zeiten“
Joseph Tulloch und Mario Galgano - Vatikanstadt
Besonders in der Westbank verschärfe sich die Situation dramatisch, erklärte Pfarrer Isaac. ?Wir erleben eine der dunkelsten Zeiten unserer Geschichte“, betonte er und wies darauf hin, dass israelische Siedlungen und Straßenblockaden das Gebiet zunehmend unbewohnbar machen. Durch zahlreiche Checkpoints werde das palästinensische Gebiet fragmentiert, sodass viele Ortschaften praktisch voneinander abgeschnitten sind.
Rund um Bethlehem gebe es etwa 80 Straßensperren, so der Pastor. Die Menschen seien gezwungen, täglich sechs bis sieben Stunden für ihre Wege einzuplanen. Gleichzeitig sei die Wirtschaft in der Region zusammengebrochen. Der religiöse Tourismus, einst eine tragende Säule Bethlehems, sei fast vollständig zum Erliegen gekommen, was viele Familien in existenzielle Not stürze.
?Mindestens 100 christliche Familien haben Bethlehem seit Beginn des Krieges verlassen“, beklagte Isaac. ?Unsere Gemeinde war ohnehin klein und kämpfte ums Überleben – nun droht sie zu verschwinden.“
Massive Vertreibungen und Unsicherheit
Isaac sieht in der wachsenden Zahl von Zwangsumsiedlungen die größte Bedrohung. Laut seinen Angaben wurden allein in der Westbank rund 45.000 Palästinenser durch Militäreinsätze in Flüchtlingslagern vertrieben. ?Wir sehen, was in Gaza geschieht, und fragen uns: Wird das unser Schicksal sein?“, sagte er.
Parallel dazu werde die Situation durch die Gefangenenaustausche zwischen Israel und der Hamas beeinflusst. Während israelische Geiseln aus dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 freikommen, würden viele der freigelassenen palästinensischen Gefangenen seit Jahrzehnten in Haft sitzen. Menschenrechtsanwältin Sahar Francis, Leiterin der Addameer Prisoner Support and Human Rights Association, erklärte, dass hunderttausende Palästinenser, darunter viele Kinder, in den letzten Jahrzehnten ohne Anklage inhaftiert wurden.
?In israelischen Gefängnissen sind Misshandlungen an der Tagesordnung: Einschüchterung, sexuelle Belästigung, Schläge und Mangelernährung“, berichtete Francis. Besonders besorgniserregend sei der Ausbruch der infektiösen Hautkrankheit Krätze, die nach ihren Angaben in den letzten 15 Monaten zum Tod von mindestens 60 Gefangenen geführt habe.
Zudem kritisierte Francis, dass Israel zeitgleich zu den Freilassungen immer wieder Massenverhaftungen durchführe – teils sogar von ehemaligen Häftlingen, die bereits im Rahmen vorheriger Gefangenenaustausche freigekommen waren. ?Das israelische Justizsystem ist kein Instrument der Gerechtigkeit, sondern ein Mittel zur Kontrolle und Unterdrückung der palästinensischen Gesellschaft“, betonte sie.
Warnung vor neuer Massenvertreibung
Rifat Kassis, Generalsekretär von Kairos Palestine, verwies darauf, dass sich die Lage der Palästinenser seit dem 7. Oktober 2023 ?unvorstellbar verschlechtert“ habe. Angesichts der Diskussionen um eine mögliche Massenvertreibung der Bevölkerung Gazas, warnte Kassis eindringlich vor den Konsequenzen: ?Das wäre nicht nur eine ethnische Säuberung, sondern ein Aufruf zu dauerhaftem Krieg in der gesamten Region.“
Besonders betonte er die Bedeutung der jüngsten Stellungnahme der Patriarchen und Kirchenoberhäupter von Jerusalem, die eine erzwungene Umsiedlung der rund zwei Millionen Menschen aus Gaza als schweres Unrecht verurteilten. Kassis warnte, dass eine solche Maßnahme ?das Herzstück der menschlichen Würde“ verletzen und die Spannungen im gesamten Nahen Osten verschärfen würde.
Darüber hinaus forderte er die internationale Gemeinschaft auf, internationale Gesetze und Gerichtsurteile konsequent durchzusetzen – darunter auch die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen ranghohe israelische und palästinensische Verantwortliche.
Papst Franziskus als Stimme des Friedens
Während ihres Aufenthalts im Vatikan hatten die drei Aktivisten ursprünglich eine Begegnung mit Papst Franziskus geplant. Doch aufgrund seiner aktuellen gesundheitlichen Situation musste das Treffen verschoben werden.
Pfarrer Isaac erinnerte an die besondere Beziehung des Papstes zu den Palästinensern, insbesondere an seinen Besuch in der Westbank im Jahr 2014. Besonders eindrucksvoll sei der Moment gewesen, als Franziskus bei der Mauer zwischen Bethlehem und Jerusalem anhielt, ausstieg und dort betete.
?In diesem Augenblick hat er unsere Herzen berührt“, sagte Isaac. ?Oft fragen wir uns: Sieht die Welt uns überhaupt? Werden wir als Menschen mit gleichen Rechten wahrgenommen? In diesem Moment haben wir uns als Menschen gefühlt.“
Ein Appell für Frieden und Gerechtigkeit
Die drei christlichen Aktivisten brachten ihre tiefe Besorgnis über die Lage in den palästinensischen Gebieten zum Ausdruck. Zwangsvertreibungen, wachsende Armut und militärische Kontrolle machen das tägliche Leben unerträglich.
Sie fordern von der internationalen Gemeinschaft ein stärkeres Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und die Achtung des Völkerrechts. Gleichzeitig hoben sie die Bedeutung der wiederholten Friedensappelle von Papst Franziskus hervor, der nicht müde werde, das menschliche Leid aller Betroffenen ins Bewusstsein zu rücken.
(vatican news)
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