Benediktforum klingt aus: Die Predigt im Wortlaut
FRIEDE VOM AUFERSTANDENEN HERRN
Das Geheimnis der Eucharistie und die Friedensmission Jesu Christi
Kurt Cardinal Koch
Mit der Feier der Heiligen Messe beschließen wir das Benedikt XVI.–Forum, das dem „Sinn für das Heilige“ gewidmet gewesen ist. Um in der heutigen Welt den Sinn für das Heilige zu fördern, hält uns die Liturgie der Kirche eine hilfreiche Perikope aus dem Evangelium des heiligen Lukas bereit, die von der Aussendung der zweiundsiebzig Jünger erzählt. Nachdem Lukas am Beginn des neunten Kapitels in seinem Evangelium die Aussendung der Zwölf Jünger berichtet hat, erzählt er nun am Beginn des zehnten Kapitels die zweite große Aussendung, die Jesus vorgenommen hat. Mit der Aussendung der Zwölf Apostel, die die Stammväter des Volkes Israel repräsentieren, zeigt Jesus seine Intention an, ein neues Israel zu bilden, das auf den zwölf neuen Stammvätern gebaut ist. Bei der zweiten Aussendung sind es demgegenüber zweiundsiebzig Jünger. Gemäß einer alten Überlieferung Israels bedeutet zweiundsiebzig die Zahl aller Völker der Erde. Indem Jesus zweiundsiebzig Jünger aussendet, gibt er damit zu verstehen, dass er nicht nur die zwölf Stämme Israels wieder sammeln, sondern seine Jünger zu allen Völkern der Erde senden will. Denn seine Botschaft vom Nahekommen des Reiches Gottes gilt allen Völkern der Erde und geht alle Menschen an.
Jesu Friedensmission in einer friedlosen Welt
Die Aussendung der zweiundsiebzig Jünger bringt die Mission Jesu zum Ausdruck, seine Botschaft zu allen Menschen zu tragen und die Menschen in die Wahrheit seiner Botschaft hineinzuführen. Im Dienst dieser Sendung stehen wir als Christen auch heute. Wir sind deshalb gut beraten, danach zu fragen, worin die Mission besteht, die Jesus damals den zweiundsiebzig Jüngern anvertraut hat und mit der er auch uns heute betraut. Gemäß dem heutigen Evangelium beinhaltet diese Mission, dass die Jünger in jedes Haus, das sie betreten, einen Gruß bringen, genauer einen spezifischen Gruß, der heißt: „Friede diesem Haus!“
Der Friede ist das kostbarste Geschenk, das Gott uns Menschen macht
Auf den ersten Blick mag dies uns Christen heute etwas harmlos und vielleicht selbstverständlich erscheinen. Dieser oberflächliche Eindruck wird aber verfliegen, sobald wir bedenken, dass es sich dabei nicht einfach um einen alltäglichen Gruß handelt, sondern um den heiligen Gruß Gottes, des Heiligen schlechthin an uns Menschen. Es ist nämlich genau jener Gruß, mit dem in der heiligen Weihnacht die Engel die Geburt des Erlösers verkündet haben: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2, 14). Und es ist derselbe Gruß, mit dem Christus nach seiner Auferstehung zum ersten Mal seinen betrübten und verängstigten Jüngern begegnet ist, als er durch die verschlossenen Türen in ihre Mitte hineingekommen ist und zu ihnen gesagt hat: „Friede sei mit euch“ (Joh 20, 19b).
Der Friede ist das kostbarste Geschenk, das Gott uns Menschen macht. Denn der Friede lebt in erster Linie in Gott in der Kommunikation zwischen den drei göttlichen Personen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Deshalb ist Gott selbst der Friede, wie der heilige Nikolaus von Flüe das Evangelium in dem einfachen, aber tiefen Wort zusammengefasst hat: „Fried ist allweg in Gott. Denn Gott selbst ist der Fried.“ Um seinen Frieden zu bringen, hat Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt. Jesus Christus hat am Kreuz Frieden zwischen den Verfeindeten gestiftet und in seiner Auferstehung diesen Frieden erneut in die Welt gebracht.
Der christliche Glaube ist deshalb überzeugt, dass diesen heiligen Frieden die Welt sich selbst nicht geben kann. Dies zeigt uns nicht nur der Anblick der heutigen Welt, die von so viel Krisen und Leiden, Konflikten und Kriegen stigmatisiert ist. Dessen werden wir vielmehr auch ansichtig, wenn wir in die Abgründe unserer eigenen Herzen blicken und dabei feststellen müssen, wieviel Unfriede und Unversöhntes in uns wuchern und gefährliche Metastasen in den zwischenmenschlichen Beziehungen bilden. Der Anblick der Welt und der Einblick ins eigene Herz bringen es an den Tag, dass der erste und der wichtigste Friede der Friede mit Gott im eigenen Herzen ist. Er ist der wirkliche Friede, und alle anderen Friedensgestalten sind Spiegelungen dieses Friedens. Nur der Mensch, der im Frieden mit Gott lebt und von daher innere Befriedigung erfährt, kann jene Haltung haben, die auch dem Frieden unter den Menschen und Völkern dient. Der Friede der Welt beginnt im eigenen Herzen mit dem Frieden, den allein uns Gott geben kann und der Gott selbst ist.
Friedensgruß und Friedenssendung
Dieser Friede wird uns immer wieder neu geschenkt in der Feier der Eucharistie als dem Ort, an dem wir im Alltag immer wieder dem Heiligen schlechthin begegnen. In der heiligen Eucharistie hat bereits die frühe Kirche erfahren, wie wahr das Wort des Apostels im Brief an die Epheser ist: „Christus ist unser Friede“ (2, 14). Die Eucharistie wurde sehr oft einfach als „Friede“ bezeichnet. „Pax“ – „Friede“ – ist sehr bald einer der Namen des eucharistischen Sakramentes geworden. Denn die Eucharistie eröffnet und schenkt uns einen Lebensraum des Friedens: Sie ist Friede vom auferstandenen Herrn her. Dass wir in der Heiligen Messe in den Frieden Gottes eintauchen dürfen, kommt besonders zum Ausdruck im Friedensgruß und im anschließenden Agnus Dei, in dem wir beten: „Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde der Welt. Gib uns deinen Frieden.“ Denn den Frieden mit Gott können wir nur erhalten, wenn das größte Hindernis, das uns vom heiligen Gott trennt, hinweggenommen wird, nämlich die Sünde.
Im Friedensgruß kommt der Friede Gottes, der uns in der Eucharistie geschenkt wird, auf uns zu durch die Vermittlung des Priesters, der uns den Frieden Gottes mit den Worten zuspricht: „Der Friede des Herrn sei mit euch!“ Und indem wir den Frieden, den wir empfangen haben, unserem Nachbarn weiterreichen, wird uns bewusst: Der Friede, den Christus uns in der Eucharistie schenkt, ist dazu bestimmt, dass wir ihn weitergeben. Wer das großartige Geschenk des Friedens in der Feier der Eucharistie von Christus empfangen darf, ist dann auch berufen und in die Pflicht genommen, diesen Frieden in die Welt zu tragen und ihm so zu dienen, dass er in der heutigen Welt eine Chance bekommt. Wer in der Heiligen Messe dem Allerheiligsten begegnet, muss dieses Heilige auch in die Welt hineinbringen und den Alltag heiligen. Gerade mit dem Innersten des Glaubens, dem eucharistischen Geheimnis, haben die frühen Christen, etwas auch für die Öffentlichkeit sehr Bedeutsames getan: „Sie haben Räume des Friedens geschaffen, gleichsam Straßen des Friedens durch eine Welt des Unfriedens gebaut.“ (J. Kardinal Ratzinger, Gott ist uns nah. Eucharistie: Mitte des Lebens (Augsburg 2001, 125.)
In gleicher Weise sind wir Christen heute herausgefordert, aus dem in der Eucharistie empfangenen Frieden zu leben und in den Dienst am Frieden zu treten.
Von daher verstehen wir, dass der Friedensgruß am Ende der Eucharistiefeier in die Friedenssendung mündet: „Gehet hin in Frieden!“ Diese Sendung lautet in der lateinischen Form der Heiligen Messe: „Ite missa est“. Mit dieser Formel wurde in der vorchristlichen Verwendung zum Ausdruck gebracht, dass eine Versammlung beendet ist. In der christlichen Liturgie besagt dieses Wort aber nicht nur „Entlassung“, sondern vor allem „Entsendung“, Auftrag zur Mission im Alltag des Lebens.
Friedensgruss und Friedenssendung sind gleichsam die beiden Brennpunkte des eucharistischen Geheimnisses als der innersten Mitte des christlichen Heiligtums. Sie zeigen uns, dass die heilige Eucharistie über sich hinausweist und hineingreift in den Alltag unseres Lebens, wie dies Papst Benedikt XVI. sehr tief zum Ausdruck gebracht hat: „Es gibt keine letzte Grenze zwischen Liturgie und Leben, sondern die Liturgie der Kirche reicht immerfort über die Tore der Kirchengebäude hinaus“( J. Ratzinger, Kirche und Liturgie (1958), in: R, Voderholzer, Ch. Schaller, F.-X. Heibl (Hrsg.), Mitteilungen des Institut-Papst-Benedikt XVI. Band 1 (Regensburg 2008) 13-27, zit. 20.). Die Eucharistie will vor allem hinauswirken in die Welt, indem sie unsere alltäglichen Beziehungen verwandelt.
Mission als logische Konsequenz überzeugten Glaubens
Wenn wir in der Eucharistie Friedensgruß und Friedenssendung als harmonische Einheit zusammensehen, wird uns auch bewusst, dass die Sendung von uns Christen, den Frieden Gottes zu den Menschen zu tragen und sie in diesen Frieden hineinzuführen, nicht einfach eine mühsame Pflicht ist, die dem Glauben in einer äußerlichen Weise hinzugefügt werden müsste. Die Mission ist vielmehr die logische Konsequenz und die Dynamik, die aus dem Glauben selbst folgt. Denn wenn wir in der Eucharistie Jesus Christus begegnen und in ihm den Frieden Gottes finden, dann werden wir von selbst zu den Menschen gehen und ihnen sagen: Wir haben Den gefunden, Der für uns Liebe, Leben und Friede ist. Diese schöne Botschaft können und dürfen wir nicht für uns behalten, sondern müssen sie weitergeben an andere Menschen, damit auch sie den Frieden Gottes finden können.
Dazu sind wir alle berufen und gesandt. Darin nehme ich den tiefen Sinn wahr, dass die Kirche uns als Patronin der Weltmission die heilige Theresia von Lisieux geschenkt hat. Sie hat nie ein Missionsland betreten, und sie hat nie unmittelbar missionarische Aktivitäten ausgeübt. Sie hat aber mit ihrem geistlichen Weg des Kindseins den heiligen Frieden Gottes so ausgestrahlt, dass sie andere Menschen zu überzeugen vermochte. Sie hat den Frieden Gottes sogar mit ihrem schweren Leiden bezeugt und damit die Botschaft des Apostels Paulus in der heutigen Lesung mit ihrem Leben verkündet: „Ich will mich allein des Kreuzes Jesu Christi rühmen, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“ (Gal 6, 14).
Diese Heilige legt uns ans Herz, dass auch wir alle berufen sind, zu den Menschen zu gehen, das Evangelium des Friedens Gottes zu verkünden, zu anderen Menschen von Gott zu reden und die Freude weiterzugeben, von der wir selbst erfüllt sind. Denn christliche Mission geschieht heute nicht so sehr durch die Verbreitung von viel Papier und auch nicht in den Medien. Das entscheidende Medium der Ausstrahlung Gottes und seines Friedens sind vielmehr wir Christen selbst, wenn wir den Glauben glaubwürdig leben und so dem Evangelium ein persönliches Gesicht geben. Wenn uns Jesus Christus wirklich als Friede Gottes und als Licht der Welt einleuchtet, werden wir von selbst ausstrahlen, Christen mit Ausstrahlung sein, die gleichsam wie finnische Kerzen leben, die bekanntlich von innen nach außen brennen und so Licht geben. Nur wenn wir im Raum des Heiligen leben und so selbst heilig werden, können wir auch andere Menschen zum Heiligen hinführen.
Eine missionarische Kirche braucht auch heute vor allem heilige Menschen, deren Herz von Gott geöffnet und deren Vernunft vom Licht Gottes erleuchtet ist, so dass ihr Herz die Herzen anderer Menschen berührt und die Vernunft zur Vernunft anderer Menschen spricht. Nur über Menschen, die selbst von Gott und seinem heiligen Frieden berührt sind, kann der Friede Gottes auch heute zu den Menschen kommen und gewinnen sie den gerade in der heutigen Welt so notwendigen Sinn für das Heilige zurück.
(vaticannews - skr)
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