Quo vadis, Sonderseelsorge?
Soldaten bräuchten als eigene soziale Gruppe wegen den besonderen Lebensbedingungen eine konkrete und besondere Form der Seelsorge, heißt es in dem Schreiben aus dem Jahr 1986. Und nicht vergessen werden sollte freilich die Krankenhausseelsorge, mit der sich die Deutsche Bischofskonferenz beispielsweise im Jahr 2018 im Impulspapier ?Ich war krank und ihr habt mich besucht“ befasst hat.
Interview
Krankenhaus-, Gefängnis- und Militärseelsorge – im Amtsdeutsch firmieren diese seelsorgerischen Angebote unter dem Begriff der Anstalts- und Sonderseelsorge. Diese ist eine gemeinsame Sache von Staat und Kirche, eine res mixta. Und hier stellen sich große Herausforderungen für die Zukunft. Frage an Michael Hermann: Wie ist die Sonderseelsorge organisiert?
Zunächst muss man die Idee hinter dem Institut der Sonderseelsorge verstehen. Normalerweise gehen Gläubige, dort wo sie leben, in örtliche Gemeinden. Und der Staat hat hier die Aufgabe, zu garantieren, dass die Gläubigen ungestört ihren Glauben praktizieren können. So regelt es beispielsweise das deutsche Grundgesetz, aber auch viele andere moderne Verfassungen. Bei Soldaten, Kranken und Gefangenen stellt sich das aber etwas komplizierter dar. Denn diese können eben nicht so einfach ihre örtliche Gemeinde aufsuchen, wenn sie seelsorglichen Beistand brauchen oder an einem Gottesdienst teilnehmen wollen. Hier regelte in Deutschland die Weimarer Reichsverfassung, dass der Staat den Kirchen und Religionsgemeinschaften ermöglichen muss, dass diese in Krankenhäusern, Strafanstalten und im Militär ihre Angebote machen können. Der Artikel 141 der Weimarer Reichsverfassung gilt aufgrund einer Verweisung aus dem Grundgesetz bis heute.
Was bedeutet die res mixta hier konkret?
Schauen wir uns zum Bespiel die Gefängnisseelsorge an. Diese ist so organisiert, dass die Seelsorger meist Bedienstete der Länder sind, aber unter der theologischen Aufsicht der Kirchen und Religionsgemeinschaften stehen. Oder die Militärseelsorge: Hier gibt es staatliche Behörden, die die Militärseelsorge organisieren. Die Aufsicht in religiösen Angelegenheiten liegt aber bei kirchlichen Akteuren. Das ist mit der gemeinsamen Sache, der res mixta, gemeint. Der Staat liefert regelmäßig den organisatorischen Rahmen, ermöglicht den Zugang zu seinen Einrichtungen, die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind für das Inhaltliche zuständig. Den Soldaten hat Franziskus übrigens im Februar, kurz vor seiner schweren Erkrankung, noch zugerufen: ?Diese Präsenz der Priester in eurer Mitte ist wichtig. Sie stehen in eurer Mitte für die Gegenwart Christi, die euch begleiten will, die euch zuhören und Nähe schenken will, die euch ermutigen will, hinauszufahren auf die See und die euch bei eurer Mission unterstützen möchte, die ihr jeden Tag erfüllt. Als moralische und geistliche Unterstützung sind sie mit euch auf dem Weg.“
Das System der Anstaltsseelsorge entwickelt sich weiter und muss sich weiterentwickeln. Was sind die Herausforderungen?
Als die große Mehrheit der Menschen einer der beiden großen christlichen Konfessionen angehörte, war Sonderseelsorge relativ einfach zu organisieren. Man brauchte eben nur den Staat, die evangelische und katholische Kirche an einen Tisch zu holen. Heute ist das religiöse Spektrum viel größer. Im Jahr 2020 hat man zum Beispiel jüdische Militärseelsorge etabliert. Seitdem gibt es ein Militärrabbinat als staatliche Behörde und einen Militärbundesrabbiner als religiöse Autorität.
Was ist mit den Muslimen, die als Kranke im Krankenhaus oder die Strafgefangene oder Soldaten sind?
Das ist tatsächlich der Stresstest für das System der Sonderseelsorge. Verfassungsrechtlich ist es ganz klar so, dass auch dem Islam Zugang zu den Krankenhäusern, Gefängnissen und zum Militär eröffnet werden muss. Und hier stellen sich schwierige Fragen: Welche theologische Autorität soll über eine islamische Sonderseelsorge wachen? Mit welchen Verbänden soll der Staat kooperieren? Und manchmal mischen sich unter die Fragestellungen auch sicherheitspolitische Aspekte.
Ich kann nicht wirklich beurteilen, ob die Bedenken, die man mitunter hört, berechtigt sind. Aber es gibt Sorgen, dass sozusagen die falschen Imame in Gefängnissen oder bei der Bundeswehr unterwegs sind. Manchmal greift der Staat deshalb zu Hilfskonstruktionen, aber auch diese sind reichlich umstritten. Interessant wird die Entwicklung bei der Bundeswehr werden, in der ja immer mehr muslimische Soldaten aktiv sind. Ein Angebot islamischer Militärseelsorge will der Bund entwickeln. Wie es konkret aussehen wird, weiß man nicht. In Österreich gibt es übrigens schon lange Militärimame. Das hat mit der Geschichte der Doppelmonarchie zu tun. Aber auch in Österreich knirscht es immer wieder, wenn es um die islamische Militärseelsorge geht.
Inwiefern betreffen diese Problemstellungen auch die katholische Kirche?
Wenn es gelingt, andere Religionen in das System zu integrieren, wird es stabilisiert. Wenn es nicht gelingt, wird es destabilisiert und womöglich zum Gegenstand weiterer Säkularisierung. Es geht hier schon um einiges.
(rv – mch)
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