D: Kriminalität von Migranten - viele Irrtümer?
Die Bundesregierung mache diese migrationspolitische Wende nicht ohne Not, die Sicherheit in Deutschland sei durch kriminelle Flüchtlinge massiv gefährdet, sagte CDU-Generalsekretär Linnemann.
Frage an meinen Kollegen Michael Hermann: Stimmt es, dass unter den Flüchtlingen aus Nahost besonders viele Kriminelle sind?
Leider gibt es hier Missverständnisse und Fehlinformationen. Das beginnt schon beim Begriff Kriminalität, der sich ja vom Lateinischen crimen, also Verbrechen, also Straftaten gegen Leib und Leben, ableitet. Der ganz stark überwiegende Anteil von Straftaten entfällt auf Delikte wie Betrug, ausländerrechtliche Verstöße, Diebstahl usw. Das Label „kriminell“ ist also nur sehr bedingt tauglich.
Schauen wir uns die Straftaten gegen Leib und Leben an. Hier könnte man ja schon den Eindruck haben, dass Flüchtlinge, zum Beispiel aus Syrien, besonders häufig Täter sind.
Den Eindruck könnte man haben, wenn man an die schlimmem Gewalttaten und Attentate von Mannheim, Villach, Bielefeld, Solingen und Würzburg denkt. Berechnet man die Wahrscheinlichkeit, mit dem ein Flüchtling ein Tötungdelikt begeht und vergleicht diese mit der Wahrscheinlichkeit der einheimischen Bevölkerung in Deutschland, dann kommt heraus: Dazwischen ist ein Faktor 7. Die Rechnung ist so aber nicht zulässig, da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Darauf haben in den letzten Wochen und Monaten auch einige Landeskriminalämter hingewiesen. Tötungsdelikte werden meist von jungen Männern begangen und eben nicht von älteren Frauen. Und in der Gruppe der Flüchtlinge finden sich vor allem junge Männer. Deshalb muss man fairer Weise die Gruppe der Flüchtlinge und die Gruppe der gleichaltrigen jungen Männer in Deutschland vergleichen. Dann kommt ein viel, viel niedriger Faktor heraus. Das gleiche gilt auch für nicht so gravierende Delikte. Bei den nicht so schlimmen Delikten muss man zusätzlich berücksichtigen, dass Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund schneller und häufiger angezeigt werden als Menschen ohne Migrationshintergrund. Und solche Missverständnisse in der Auswertung von Statistiken gibt es viele.
Die Kriminalitätsbelastung von Flüchtlingen ist also erheblich, aber nicht so groß, wie das auch aufgrund der medialen Berichterstattung angenommen wird?
Genauso ist es. Und für die höhere Kriminalitätsbelastung gibt es auch Gründe, so vor allem die multiplen Traumatisierungen, die die Geflüchtete erfahren haben. Freilich darf man das Problem nicht kleinreden, aber größer machen, als es ist, sollte man es auch nicht.
Gerade Papst Franziskus hat sich ja immer wieder für eine geschwisterliche Haltung gegenüber Flüchtenden eingesetzt.
Das scheint mir ganz zentral sein. Geflüchtete, die schwere und schwerste Straftaten begangen haben, sind eine enorme Belastung für die Gesellschaft. Aber Geschwisterlichkeit bedeutet hier insbesondere, dass man den vielen Flüchtenden, die keine Gesetzesverstöße begehen, mit uneingeschränkter Solidarität begegnet.
Inwiefern ist es ein Problem, wenn sich öffentlich solche Missverständnisse halten?
Es gibt in den Sozialwissenschaften eine These, die Kultivierungshypothese. Sie bedeutet: Wenn lange genug etwas konstruiert wird, dann wird die Realität entsprechend. Kriminalisiert man Flüchtlinge also unberechtigt, dann riskiert eine Gesellschaft, dass Aggression, Ausgrenzung, Gewalt und Kriminalität zunehmen. Und das ist, folgt man einem christlichen Menschenbild, ein großes Problem.
Michael C. Hermann ist Professor für Soziologie und ist für Radio Vatikan tätig.
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