Unser Sonntag: Beten wir um Priesterberufungen?
Pfarrer Klaus Klein-Schmeinck
Joh 10, 27–30 4. Sonntag der Osterzeit
Die Gestalt Jesu zieht immer wieder Menschen in ihren Bann. Deshalb gibt es eine Vielzahl von Jesus-Büchern.
Bücher, in denen uns Jesus vorgestellt wird, wie er wirklich war, was er wirklich gesagt oder nicht gesagt hat, dass er nach seiner Kreuzigung in Indien gelebt hat, dass er überhaupt nicht gekreuzigt, sondern in Wirklichkeit gesteinigt worden sei ... und vieles mehr.
Für jede neue Erfindung gibt es ein neues Jesus-Buch. Und diese Bücher werden verkauft und - so muss man es wohl befürchten - zum Teil auch gelesen.
Nach so viel verwirrender und sich natürlich auch widersprechender Literatur tut es gut, einmal das wichtigste und beste Jesus-Buch aufzuschlagen: die Bibel. Die Bibel, das Buch der Bücher. Die Bibel, das Buch der Kirche. Beides gehört zusammen: Bibel und Kirche. Nicht die Bibel hat die Kirche hervorgebracht, sondern die Kirche hat - teilweise nach langem Ringen - gesagt, was zur Bibel gehört und was nicht. Aber die Kirche ist nicht Herrin über die Bibel. Was in der Bibel bleibend als Offenbarung Gottes ausgesagt ist, ist und bleibt für die Kirche verbindlich. Sonst würde sie aufhören, Kirche zu sein.
Der "facettenreiche Jesus"
Wir schlagen also die Bibel und darin das Neue Testament auf und machen sehr bald eine wichtige Entdeckung: So einheitlich und gleichmäßig, wie wir uns eine Personenbeschreibung vorstellen möchten, finden wir in den Evangelien Jesus nicht gezeichnet. Da gibt es nicht nur den sanften und gütigen Jesus, sondern auch den, der in heiligem Zorn mit Stricken um sich schlägt und die Pharisäer und Schriftgelehrten "Nattern und Schlangenbrut" und "übertünchte Gräber" nennt. Da gibt es nicht nur Frohbotschaften mit beglückenden Verheißungen, sondern auch Drohungen mit Gericht und Feuer. Da gibt es nicht nur den armen Jesus, der nicht weiß, wo er abends sein Haupt hinlegen kann, sondern auch den, der es geschehen lässt, dass kostbarstes Öl über seine Füße gegossen wird.
Das Herz des Erlösers
Diese Spannungen und Gegensätzlichkeiten sind nicht erst von unserer Zeit erkannt. Die Christen aller Zeiten haben darum ringen müssen, die Mitte der Botschaft zu finden, sozusagen das Herz des Erlösers zu entdecken und zu befragen. - Jesus kann nicht einfach in eine vorgefertigte Schablone gepresst werden. Sondern seine Worte und seine Taten müssen immer neu mit unserem Leben, mit unseren Fragen in einen lebendigen Glaubenszusammenhang gebracht werden. Wir müssen die Mitte finden, von der wir Jesus verstehen und ihm folgen können.
Ich glaube, diese Mitte finden wir in einem "Ich-bin"-Wort, das diesem 4. Sonntag nach Ostern seinen Namen gibt: "Ich bin der gute Hirt", sagt Jesus. Heute ist der Gute-Hirte-Sonntag. Der Herr spricht ja auch im heitigen Evangelium von den Schafen, die auf seine Stimme hören. Die Menschen brauchen einen Hirten. So wie sie Brot zum Leben brauchen und einen, der ihnen sagt: "Ich bin das Brot des Lebens" und so wie sie nach Wahrheit und Orientierung suchen und einen, der sagt: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben" so brauchen sie auch einen Hirten.
Bewahrung vor den Wölfen
Einen, der sie vor den Wölfen bewahrt und auch davor, mit den Wölfen zu heulen. Einen guten, das heißt einen wirklichen Hirten brauchen sie, einen, dem wirklich an der Herde liegt; eben daran, dass die Schafe, die ihm anvertraut sind, leben. Daran können wir den wirklichen Hirten erkennen: ihm liegt an den Schafen, an jedem einzelnen. Er lässt auch die neunundneunzig sicheren in der Steppe zurück und geht dem einen verlorenen nach, bis er es findet.
Der gute Hirte - ein Bild für die Sorge, die unter uns in der Kirche wach sein müsste, die Sorge nicht um die große Zahl und um den sichtbaren Erfolg und schon gar nicht um den Beifall der Wölfe, sondern um jeden einzelnen.
Bisweilen wird das Bild des guten Hirten verdächtig gemacht. Es wird gesagt: Da haben wir es ja mal wieder! Die Kirche, starr in ihren Institutionen und hierarchisch in ihrer Befehlsgewalt von oben nach unten, sie untermauert ihren Anspruch mit diesem Bild, das ja zutiefst patriarchalisch ist: der Hirt, der mächtig ist, kümmert sich um die fromm blökende Herde. -Und so wird dieses biblische Bild von Grund auf in Frage gestellt, was die Bedeutung für die Kirche heute angeht. Diesen Vorwurf muss man ernst nehmen. Aber wiederum muss man die ganze Bibel nehmen, nicht nur einen kleinen Teil. Jesus stellt sich uns vor als der Gute Hirte. Aber Johannes, der vierte Evangelist und tiefe Kenner des Herzens Jesu, hat noch ein anderes Bild, ein Bild, das das vom Hirten ergänzt und vollständig macht. Wir müssen immer das Ganze sehen, dann erst können wir eine Aussage machen darüber, was gemeint ist und was das für uns bedeutet.
Ebenso wichtig wie das Bild vom Guten Hirten ist für Johannes das Bild vom Lamm Gottes. Jesus ist nicht nur der Hirt, er ist zugleich auch das Lamm! "Seht, das Lamm Gottes!" ruft Johannes der Täufer über Jesus aus. Jesus wird ein Mensch unter Menschen: er geht den Weg der Erniedrigung und des Mit-Leidens. - Nach der Chronologie des Johannes stirbt Jesus am Kreuz genau zu dem Zeitpunkt, an dem im Tempel die Opferlämmer geschlachtet werden.
Der gute Hirt, der sein Leben hingibt für die Schafe, ja der sogar den Schafen gleich wird in ihrem Schicksal und sie dadurch erlöst.
Papst Benedikt XVI. predigte zu Beginn seines Pontifikates:
„Ich bin der wahre Hirte... Ich gebe mein Leben für die Schafe, sagt Jesus von sich.
Nicht die Gewalt erlöst, sondern die Liebe. Sie ist das Zeichen Gottes, der selbst die Liebe ist.
Wie oft wünschten wir, dass Gott sich stärker zeigen würde.
Dass er dreinschlagen würde, das Böse ausrotten und die bessere Welt schaffen. Alle Ideologien der Gewalt rechtfertigen sich mit diesen Motiven: Es müsse auf solche Weise zerstört werden, was dem Fortschritt und der Befreiung der Menschheit entgegenstehe.
Wir leiden unter der Geduld Gottes.
Und doch brauchen wir sie alle. Der Gott, der Lamm wurde, sagt es uns: Die Welt wird durch den Gekreuzigten und nicht durch die Kreuziger erlöst.
Die Welt wird durch die Geduld Gottes erlöst und durch die Ungeduld der Menschen verwüstet.“
Vorbild für die Geistlichen
An diesem Guten Hirten müssen auch die Maß nehmen, die als Hirten in der Kirche ihren Dienst tun – die Diakone, Priester und Bischöfe.
Mir schlottern davor oft die Knie: Hirt sein, heißt auch Lamm sein, sich hingeben und auch zerreißen lassen für alle. Das gelingt nur, wenn ich bete und im Kontakt bin mit dem Guten Hirten. Das gelingt aber auch nur, wenn Sie alle für Ihre Hirten beten. Die haben das bitter nötig haben. Ohne vom Gebet der Gläubigen getragen zu sein, ist der Hirte oft hilf- und kraftlos. Beten auch um Menschen, dass sie sich als Hirten der Herde annehmen. Am heutigen Weltgebetstag um geistliche Berufe, wollen wir besonders für die jungen oder weniger jungen Menschen beten, die den Ruf der besonderen Nachfolge Christi in sich spüren. Beten darum, dass sie diesem Ruf entsprechen.
Priestermangel
In meinem Bistum wird es in den nächsten Jahren immer wieder Jahre ohne eine einzige Priesterweihe geben. Viele schreien deshalb nach Änderung der Zulassungsbedingungen, Abschaffung des Zölibats etc. Auf dem sogenannten „Synodalen Weg“ wurde sogar beraten, ob es Priester überhaupt geben müsse Bei meiner Priesterweihe predigte der Bischof: Früher habe ich gesagt, ‚Der Priester getragen vom Glauben der Gemeinde’. Das kann ich heute nicht mehr so formulieren. Eher muss ich sagen: ‚Der Priester erdrückt von den Ansprüchen der Gemeinden’ – „Gefreut hat sich keiner“ hieß die Überschrift des Artikels eines Mitbruders von mir in der Kirchenzeitung kurz vor der Weihe. Und das war schon vor 27 Jahren. Die Skandale um Missbrauch haben das Ihrige dazu beigetragen, die Situation zu verschlechtern. Ich wurde schon angespuckt, weil ich Priester bin.
Auch heute ist das Volk störrisch
In der heutigen Zeit in unseren Breiten Priester zu sein, ist nicht einfach. Ich denke oft, dass meine Rolle als Priester ungefähr der des Mose entspricht:
Da ist zum einem die Aufgabe, vor den Menschen von Gott zu sprechen und vor Gott für die Menschen einzutreten. Und zum anderen lebe ich in einem störrischen Volk, das murrt, das in der Wüste unterwegs ist, die altbekannten „Fleischtöpfe Ägyptens“ verlassen hat und sich teils zurück in die Volkskirche der 60er Jahre wünscht, teils sogenannte „Träume von Kirche“ hat, die mit solider Theologie nichts mehr zu tun haben. In einer solchen Spannung Dienst zu tun, ist nicht leicht.
Mutmachende Initativen
Mose hat das gelobte Land nicht betreten. Er konnte nur von Ferne hineinschauen. Auch ich werde wohl eine lebendige, geistlich erneuerte Kirche nicht erleben. Vielmehr den weiteren Niedergang des Glaubenslebens, die Schließung von Kirchen, den Austritt vieler weiterer Getauften aus der Kirche. Aber ich sehe schon, wie es weiter gehen könnte. Da sind mutmachende Initiativen wie Nightfever oder junge Leute, die sich um den Podcast 10min mit Jesus kümmern und vieles mehr. Ohne Mose hätte das Volk Israel nicht durch die Wüste in das gelobte Land gelangen können. Als Priester heute gehe ich mit dem Volk Gottes durch die Wüste und versuche gemeinsam mit ihm den rechten Weg zu finden, indem ich einfach meinen Dienst tue.
In unseren Breiten muss man sich nicht wundern, dass es so wenige Priesteramtskandidaten gibt. Es ist eigentlich ein Wunder, dass es noch welche gibt.
Und um Wunder darf man beten, müssen wir sogar manchmal beten: Auch um das Wunder von Priesterberufungen – gerade da wird deutlich, dass die Kirche eben kein menschlicher Verein, sondern eine göttliche Stiftung ist, dass sie geleitet und geführt wird nicht von einem menschlichen Parlament, sondern von einem göttlichen, guten Hirten, der sein Leben hingibt für seine Schafe.
Der Gute-Hirte-Sonntag ist auch der Weltgebetstag um geistliche Berufe.
Wann haben Sie das letzte Mal um Priesterberufungen gebetet?
(Radio Vatikan - Redaktion Claudia Kaminski)
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