Unser Sonntag: Glaube kommt vom H?ren
Rainer Maria Kardinal Woelki
Lk 1,26-38 (4. Advent)
?Der Glaube kommt vom Ho?ren“. Diese Feststellung des Apostels Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom (Ro?m 10,17) ist ebenso zutreffend wie ihr Gegenteil: Auch der Unglaube kommt vom Ho?ren.
Wie wir die Welt sehen und verstehen, wie wir das Leben deuten, welche Werte fu?r uns wichtig sind und ob wir u?ber die sichtbare und begreifbare Welt hinaus mit einem Gro?ßeren rechnen oder nicht – das alles kommt nicht einfach nur aus uns selbst. Das, was andere uns sagen, spielt eine pra?gende Rolle. Das beginnt in der Regel mit den Eltern und geht dann in Kindergarten und Schule weiter. Dabei weitet sich zugleich der Kreis derer, die wir ho?ren und auf die wir ho?ren: Mitschu?lerinnen und Mitschu?ler, Freundinnen und Freunde. Eventuell beginnt auch ein erstes Kennenlernen des kirchlichen Lebens, vielleicht sogar ein intensiveres Hineinwachsen durch die Erstkommunionvorbereitung.
Doch was hier zaghaft zu wachsen beginnen ko?nnte, ist danach sta?ndig der Wahl zwischen Versta?rkung des Wachstums und Widerspruch ausgesetzt. Das gilt fu?r die Menschen, mit denen man zu tun hat, aber auch fu?r die Vielfalt der Stimmen im Internet und den Social Media. Glaube ich den Lautstarken oder den Leiseren? Welcher der Botschaften traue ich, deren letzte Motive la?ngst nicht immer erkennbar sind, aber auf jeden Fall meine Emotionen ansprechen? Spricht mehr fu?r diejenigen, die von Bewahrung der Scho?pfung und von einem zu erwartenden Heil reden, oder mehr fu?r diejenigen, die sagen: ?Alle Katastrophen und alles Leid der Welt machen Gott eher unwahrscheinlich.“? Ist wirklich Feindesliebe angesagt oder nicht doch eher klare Grenzziehung?
Wer hat Recht und wer Unrecht? Sprechen die Argumente eher fu?r den Glauben oder gegen ihn?
Gott spricht nicht selten durch Menschen
Woran erkenne ich, ob aus einer der zahlreichen Stimmen Gott spricht oder nicht? Aber so einfach ist es nicht zu erkennen, denn Gott spricht nicht selten durch Menschen. Bei denen gibt es keine letzten Beweise und Eindeutigkeiten. Man denke nur an Mose oder die zahlreichen Propheten. Wir lesen in der Bibel vom Misstrauen des Volkes gegen Mose. Der Prophet Hosea wird einmal als ?meschugge“, also als verru?ckt bezeichnet (Hos 9,7). Auch Jesus wird in Frage gestellt: Ist er nicht einfach nur der Sohn des Josef und der Maria? (vgl. Mt 13,55). Ist vielleicht auch er nur ?von Sinnen“ (Mk 3,21)?
Das heutige Evangelium macht es sich im Blick auf die Zweifelnden relativ einfach: ?Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galila?a namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt.“ Fu?r Lukas ist es u?berhaupt keine Frage, dass der plo?tzlich auftauchende Engel von Gott kommt.
Furcht und Nachfrage
Doch woher soll Maria im Evangelium gleich bei den ersten Worten wissen, wen sie vor sich hat? Anders als in unseren Vorstellungen haben in der Heiligen Schrift die Engel keine Flu?gel, eher ganz normale Menschengestalt. Einzig eine leuchtend weiße Gewandung kann, z. B. an Ostern und bei der Himmelfahrt Jesu, als Hinweis auf die Spha?re Gottes gedeutet werden. Aber von ihr ist la?ngst nicht u?berall die Rede. Auch nicht beim Besuch des Erzengel Gabriel in Nazaret, der selbst u?brigens seinen Namen nicht nennt.
Denken wir uns auf diesem Hintergrund in das hinein, was Maria erlebt, wird die Situation brenzlig. Ihr begegnet ein ?Jemand“ mit eigenwilligem Gruß: ?Sei gegru?ßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir.“ Hier ist gar nichts klar. Das Evangelium vermittelt: Wenn Gott – durch wen auch immer - spricht, ist dies fu?r den Menschen zumindest am Anfang eher erschreckend und verwirrend. Das Ho?ren fu?hrt bei Maria daher weder zum Jubel noch zum Glaubensbekenntnis, sondern zu Furcht und Nachfrage. Allerdings: Sie verschließt sich auch nicht.
In diese Situation fa?llt als Na?chstes ein Wort der Ermutigung: ?Fu?rchte dich nicht!“ Auf den unvermuteten Einbruch eines Fremden in die eigene Alltagswelt reagiert Gott mit Beruhigung. Nicht mit Vertro?stung und Verharmlosung, sondern mit dem Aussprechen des Gefu?hls, das Maria soeben beschleicht: Furcht.
Allerdings folgt der Ermutigung sogleich eine Zumutung im doppelten Sinn: Eine noch nicht verheiratete Frau wird mit kommender Schwangerschaft konfrontiert und dem Kind wird eine Zukunft vorhergesagt, die ganz sicher die Vorstellungsmo?glichkeiten Marias u?berschreitet. Aber wiederum: Das Unfassliche la?sst sie nicht Nein sagen.
Gott übergeht die Fragen des Menschen nicht
Die Fremdheit des Geho?rten verfu?hrt sie nicht zum Unglauben, wohl zur na?chsten Nachfrage. Mittlerweile versteht sie zwar die Worte, hat aber keine Vorstellung, wie die Anku?ndigung Wirklichkeit werden ko?nnte: ?Wie soll das geschehen?“ Und nun zeigt das Evangelium: Wenn es wirklich Gott ist, der spricht, u?bergeht er nicht die Fragen des Menschen. Er gibt Antwort. Sogar dreifach ist die Antwort Gabriels, der sich mit seiner Engelsgeduld und gleichzeitigen Beharrlichkeit fu?r Maria aus einem Fremden in eine Vertrauensperson wandelt. Maria vernimmt als Erstes: Gott selber wirkt in dir das Unvorstellbare. Dann wird ihr gesagt: Du, Maria, durftest selber schon erleben, dass Unvorstellbares Wirklichkeit werden kann; schau nur auf deine Cousine Elisabeth. Und schließlich heißt es: Fu?r Gott ist nichts unmo?glich. So hieß es schon bei Abraham und Sara, als drei Ma?nner ihnen die Geburt Isaaks anku?ndigten (Gen 18,14).
Als sei der letzte Satz Gabriels von den unbegrenzten Mo?glichkeiten Gottes der entscheidende, wird bei Maria genau jetzt aus Ho?ren Glauben. Ganz sicher kein Wissen, und kaum ein rationales Verstehen. Wohl aber ein wagemutiger Glaube, der dem fremden Boten vertraut; ein Glaube, der mit der Mo?glichkeit rechnet, durch den fu?r Maria Unbekannten ko?nnte Gott selbst sprechen; ein Glaube, der bereit ist, sich auf die Zumutung Gottes ganz und gar einzulassen.
Was besagt dieser Satz: ?Denn bei Gott ist nichts unmo?glich“? Obwohl er als Begru?ndung daherkommt, ist er eigentlich eine Frage: Willst du, Maria, eher auf die Stimmen ho?ren, die nur auf das dem Menschen Machbare und Mo?gliche schauen, auf das, was Wissenschaft und Messbarkeit beweisen und erstellen ko?nnen? Oder traust du der Stimme, die davon ku?ndet, dass es Gro?ßeres als den Menschen und seine Mo?glichkeiten gibt? Und kannst du glauben, dass in den Mo?glichkeiten Gottes wirkliche Rettung liegt, auch da noch, wo alles unrettbar verloren scheint?
Was der Bote sagt, ist ermutigend
Maria kann genau dies glauben – aufgrund dessen, was sie soeben geho?rt hat. Nicht die Einga?ngigkeit der Botschaft des Fremden fu?hrte zur Annahme, aber dass sie spu?ren konnte: Was der Bote auch sagte, war ermutigend. Es spricht mehr fu?r Gotteswort als fu?r reines Menschenwort, wenn die A?ngste ernstgenommen, aber ihnen Ermutigung entgegengesetzt wird. Es spricht dafu?r zu glauben, wenn an Erfahrungen anderer angeknu?pft werden kann. Diese zeigen: An die gro?ßeren Mo?glichkeiten Gottes zu glauben ist nicht einfach meschugge. Natu?rlich gibt es auch hier keine letzten Beweise, aber der Hinweis auf die bekannten Glaubenserfahrungen anderer Menschen schafft Vertrauen: Was mich da erwartet, ist einzig und doch mit dem verbindbar, was ich von Gott schon weiß. Schließlich spricht - vielleicht entgegen dem, was Menschen von heute erwarten wu?rden – fu?r den Boten und seine Botschaft, dass er nicht von den steigerungsfa?higen Mo?glichkeiten Marias spricht, sondern von Gro?ßerem, als sie selbst zu leisten vermag.
Maria durfte ho?ren: Der Name des Kindes soll Jesus sein, ?Gott rettet“. Passend werden die himmlischen Stimmen den Hirten in der Weihnacht verku?nden: ?Heute ist euch der Retter geboren“ (Lk 2,11). Dass ein kleines schwaches Kind der Retter ist und nicht etwa der ma?chtige Augustus in Rom, scheint eher unglaublich, und hat doch eine Wahrheit in sich, die zum Glauben verlockt. Alle Herrschaft auf Erden hat sich bislang als bru?chig, vorla?ufig, oft auch selbstsu?chtig, nicht selten unbarmherzig oder gar gewaltta?tig erwiesen. Spricht nicht mehr dafu?r, dass nicht solche Herrschenden Retter sind, sondern eher dieser Jesus, der von Zuwendung, Vergebung, Barmherzigkeit, Na?chstenliebe bis hin zur Feindesliebe und von einem Leben spricht, dem der Tod keine Grenze setzt?
Die Botschaft Jesu - auch heute
Lohnte es nicht, die Botschaft dieses Jesus zu ho?ren, der im Johannesevangelium spricht, als wu?rde er unsere Zeit kennen: ?In der Welt seid ihr in Bedra?ngnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt.“ (Joh 16,33)? Um dieser Ermutigung willen, die schon auf Karfreitag und Ostern vorausschaut, ist Gott Mensch geworden. Maria wird uns als diejenige vorgestellt, die als erste eingeweiht wird in die Absicht Gottes und zugleich einbezogen wird in ihre Umsetzung.
Wir werden diese Botschaft an Weihnachten wieder ho?ren. Wird dieses Ho?ren dann wie bei Maria entgegen allem, was so wenig nach Rettung in dieser Welt aussieht, sich in Glauben wandeln bzw. den vorhandenen Glauben sta?rken? Ich wu?nsche es uns allen.
(radio vatikan - claudia kaminski)
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