Unser Sonntag: Zeuge für das Licht
Rainer Maria Kardinal Woelki
3. Advent (Joh 1,6-8.19-28)
Wer bist du? Diese Frage stellt sich immer dann, wenn Menschen in Begegnungen verunsichert werden. So, wie Johannes der Ta?ufer im heutigen Evangelium die fu?hrenden Kreise der Jerusalemer Bu?rgerschaft zu irritieren scheint. Damit setzt das Johannesevangelium einen deutlich anderen Akzent als Markus. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den letzten Sonntag. Bei Markus kommt diese Frage gar nicht vor. Im Gegenteil, er nimmt den Lesern die Frage nach der Identita?t des Johannes im Grunde ab und macht sofort deutlich: Johannes war ein Prophet. Na?herhin erkennt er in ihm den wiedergekommenen Propheten Elija. Zumindest versteht er ihn ganz vor dem Hintergrund dieser Gestalt. Der Evangelist Johannes hingegen fu?hrt seine Leserschaft und damit auch uns in die Frage hinein: Wer ist eigentlich dieser Johannes?
Es fa?llt auf, dass das gesamte Johannesevangelium von solchen Fragen durchzogen ist. Bei der Hochzeit zu Kana fragt Jesus seine Mutter ?Was willst du von mir, Frau?“ (2,4). Im Anschluss an das Zeugnis Johannes des Ta?ufers u?ber das ?Lamm Gottes“ fragt Jesus die ersten beiden neugierigen Ju?nger: ?Was sucht ihr?“ (Joh 1,38). Und in der Wendung ?Wen sucht ihr? bzw. ?Wen suchst du?“ richtet er die gleiche Frage an die Soldaten, die ihn im Garten Getsemane festnehmen wollen, bzw. an Maria Magdalena im Garten der o?sterlichen Begegnung.
Man kann sagen: Johannes fu?hrt bewusst durch solche Fragen in die Verunsicherung, damit die Lesenden und Ho?renden seines Evangeliums in der Antwortfindung neue Sicherheit und Identita?t im Glauben finden. Denn seit Thomas, der Jesus noch einmal beru?hren durfte und von seinem ganzen Glaubenszweifel in der sichtbaren Begegnung mit Jesus geheilt wurde, gilt: ?Selig, die nicht sehen und doch glauben.“ Diese Herausforderung des Glaubens bedarf besta?ndiger neuer Ru?ckbindung an die Fundamente dieses Glaubens, zu denen auch die Glaubenszeugen geho?ren.
Die jüdischen Erwartungen
?Wer bist du?“, so also la?sst die ju?dische Beho?rde aus Jerusalem bei Johannes anfragen und vorfu?hlen. Wenn einer tauft, sollte er schon einen guten Grund dafu?r haben. Anders ha?tte er u?berhaupt keine Autorita?t, so etwas zu tun. Mehrere Antworten sind fu?r die Fragesteller denkbar: Christus, also ?der Gesalbte“ bzw. der Messias. Oder: Elija. Oder: ?der Prophet“. Alle diese Mo?glichkeiten bewegen sich im Rahmen der damaligen ju?dischen Erwartungen eines von Gott gesandten Heilsbringers, des Messias. Der Ta?ufer kennt sie alle. Und ehe sie von den Fragestellern ausgesprochen werden, lehnt er alle diese Identifizierungen fu?r sich ab: Er ist eindeutig nicht der Heilsbringer und Messias, den man am ehesten aus ko?niglichem oder priesterlichem Geschlecht erwartete. In der Sprache des Evangeliums: ?Ich bin nicht der Christus“. Er weist aber auch den Prophetentitel fu?r sich ab. Weder ist er der aus dem Himmel wiedergekommene Elija, der als Wegbereiter des Messias erwartet wurde (vgl. Mal 3,22), noch ist er der von einigen ju?dischen Kreisen erwartete namenlose Messias aus prophetischem Geschlecht. Bei dieser Vorstellung knu?pfte man an Deuteronomium 18,18 an. Hier wird dem Mose angeku?ndigt: ?Einen Propheten wie dich will ich ihnen mitten unter ihren Bru?dern erstehen lassen.“ Nein, keiner dieser denkbaren Zuschreibungen trifft zu.
Der Täufer entzieht sich einer klaren Antwort
Man kann sich in die von Johannes aufgebaute Szene gut hineinfu?hlen: Wenn ich einen Unbekannten nach seiner Identita?t frage und im Grunde schon die fu?r mich mo?glichen Antworten im Kopf habe, bin ich umso verwirrter, wenn keine davon besta?tigt wird. Irritierenderweise entzieht sich der Ta?ufer auch in der Folge einer klaren Antwort, wer er sei oder warum er u?berhaupt taufe, wenn er nicht der Messias ist. Vielmehr relativiert er sein eigenes Tun als einen reinen Wasserritus, ausgefu?hrt durch eine im Grunde ganz und gar unwu?rdige Person. Das ist nicht einfach ein Ausdruck von Bescheidenheit. Nein, nur auf diesem Hintergrund wird versta?ndlich, wer er ist. Sein Auftrag besteht einzig und allein darin, auf den zu verweisen, der bereits ?mitten unter euch steht, den ihr nicht kennt und der nach mir kommt“. Was Johannes damit meint, spricht er nicht selbst aus, sondern der Evangelist tut es fu?r ihn am Beginn des heutigen Evangeliums: ?Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen fu?r das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen.“
Mit dieser Vorstellung macht das Evangelium deutlich: Johannes ist nicht – wie bei Markus – der Anfang, na?mlich der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, sondern Johannes der Ta?ufer ist Zeuge fu?r den, welcher in Wirklichkeit der Anfang von allem ist: Gott selbst, der nie ohne Christus zu denken ist, ohne den Logos, ohne das Wort, das in Jesus Christus Fleisch geworden ist. Dabei bildet im Johannesevangelium das Stichwort ?Licht“ eine Einheit mit dem Begriff ?Leben“. In den vorangehenden Versen des ersten Kapitels wird deutlich: Das Wort, welches in Christus Mensch wurde, ist sowohl das Anfangswort der Scho?pfung als auch das die Scho?pfung erhaltende Wort, welches das Leben der Menschen durchleuchten will. Dieses Licht steht im Gegensatz zur Finsternis als der Welt, insofern sie ihre Herkunft aus Gott leugnet, von ihm her nichts erwartet und alles nur aus ihrer begrenzten Menschenperspektive zu gestalten versucht. Der Wasser in Wein wandelnde, Blinde heilende, Hungernde sa?ttigende, Tote aus dem Grab herausrufende und am Ende das Kreuz u?berwindende Christus hat diesen Gott ansichtig gemacht, der gro?ßer ist als alle Dunkelheit. Auf diesen Christus hinzuweisen, darin sieht das Johannesevangelium die eigentliche Aufgabe Johannes des Ta?ufers. Besonders gut hat dies der Maler Matthias Gru?newald ins Bild gebracht und damit anschaulich gemacht. In Colmar im Elsass zeigt man sein ca. 1515 fu?r das Antoniterhospiz in Isenheim geschaffenes, mehrteiliges Altarbild. Mit ihm wollte er Menschen innerlich aufrichten, die aufgrund einer damals verbreiteten Getreidepilzerkrankung furchtbare Gliederschmerzen litten. Das Zentrum bildet eine Kreuzigungsdarstellung. Und genau hier, unter dem Kreuz, steht bei Gru?newald auch Johannes der Ta?ufer.
Johannes lenkt alle Aufmerksamkeit auf Jesus
Mit u?bergroßem Zeigefinger weist er die Bildbetrachter auf den Gekreuzigten hin und schaut dabei selbst auf die, die vor dem Altargema?lde stehen. Alle Aufmerksamkeit lenkt er einzig und allein auf Christus hin. Und genau so will das Johannesevangelium den Ta?ufer verstanden wissen. Mit seinem Zeugnis fordert Johannes die Menschen heraus, sich zu Jesus zu verhalten; wirklich zu erkennen, wer unter ihnen – nun als der zum Vater erho?hte Christus – gegenwa?rtig ist. Letztlich entlarvt es die Frage ?Wer bist du?“ als an den Falschen gerichtet. Es geht nicht um Johannes den Ta?ufer, sondern um Jesus. Er ist der eigentliche Zielpunkt des Fragens.
Damit beschreibt der Evangelist Johannes weniger eine historische Szene, von der wir sagen ko?nnten, sie habe sich fu?r uns in gewisser Weise erledigt. Das Evangelium holt uns vielmehr in seine Verku?ndigung hinein und entla?sst uns nicht aus der Aufgabe, uns zu ihr zu verhalten. Wir, jede und jeder das Evangelium Vernehmende, hat fu?r sich die Frage zu beantworten: Wer bist du, Jesus? Zwar verteilt der Evangelist u?ber seine Gesamtschrift mo?gliche Antworten. Es sind die beru?hmten Ich bin-Worte: z. B. ?Ich bin das Licht“, ?Ich bin der gute Hirte“ oder ?Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Aber liest man diese sieben Ich-bin-Worte genauer, wird man feststellen, dass sie mehr Fragen stellen als Antwort geben. Sie bedu?rfen der perso?nlichen Aneignung.
Kennt ihr Jesus?
So werden wir heute mit der Frage konfrontiert: Kennt ihr diesen Jesus Christus wirklich, der mitten unter euch ist, den ihr feiert und immer wieder im Munde fu?hrt? Oder was genau kennt ihr von ihm und was ist euch ganz fremd? Was an ihm ist euch wirklich Licht, und wo meldet sich eher die Finsternis, die mit diesem Jesus nichts anzufangen weiß? Zu welcher Antwort, Mensch, hast du gefunden auf die Frage: Jesus, wer bist du? Hier geht es nicht um auswendig gelernte Antworten, sondern um eine innere Beziehung. Es geht darum, den Namen Jesus mit Leben zu fu?llen – fu?r sich selbst, aber auch fu?r andere.
Kirche: befragbare Glaubenszeugen
Aber nicht nur die Menschen, zu denen Johannes der Ta?ufer im Evangelium spricht, repra?sentieren einen Typos, der auch wir selbst sind oder zumindest sein ko?nnen. Auch Johannes der Ta?ufer ist ein Typos – und zwar fu?r die Kirche durch alle Zeiten hindurch. Sie ist die Gemeinschaft der befragbaren Glaubenszeugen fu?r das Wort, das Licht und das Leben, das Christus selber in seiner untrennbaren Gemeinschaft mit dem Vater ist. Unsere Aufgabe ist es, in der Spur des Johannes Zeigefinger auf Christus hin zu sein – nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Kirche ist es aufgetragen, so aus der Antwort auf die
Frage, wer dieser Jesus Christus ist, zu leben, dass u?berall dort, wo Gemeinschaften im Glauben sich bilden, diese mit großer Zeugniskraft und zugleich warmherziger Einladung sagen ko?nnen: ?Kommt und seht!“ (vgl. Joh 1,39).
(radio vatikan - claudia kaminski)
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