Kürzungen der US-Entwicklungshilfe: Ein humanit?res Desaster
Stefano Leszczynski – Vatikanstadt *
Es ist erst fünf Monate her, dass US-Außenminister Marco Rubio auf X erklärte: ?5.200 Verträge im Wert von Milliarden Dollar wurden gestrichen, weil sie den nationalen Interessen der Vereinigten Staaten nicht gedient und in einigen Fällen sogar geschadet haben.“ Er bezog sich auf USAID, die US-Agentur für internationale Entwicklung, die seit dem 10. März nicht mehr existiert. ?Ein Todesurteil für Millionen Menschen weltweit“, kommentiert das Nicoletta Dentico, die Leiterin der globalen Gesundheitsprogramme der ?Gesellschaft für internationale Entwicklung‘ (SID), gegenüber den Medien des Vatikans.
Ideologie statt Menschlichkeit
?Die Argumente für die Schließung von USAID waren rein ideologischer Natur. Der menschliche Faktor spielt dabei kaum eine Rolle. Und außerdem sehen wir, dass der menschliche Faktor für die amerikanische Regierung selbst in anderen Politikbereichen, etwa in Bezug auf Migranten oder Zölle, keinerlei Priorität hat. Die Vereinigten Staaten waren ein ausgesprochen wichtiger Akteur, nicht nur finanziell, sondern auch mit ihrem Personal, ihrem Fachwissen und ihrer Forschung. Es ist klar, dass dieser Schock neue Szenarien mit sich bringen wird, und ich fürchte, wir werden da künftig einige seltsame Dinge erleben.“
Da sich der Westen von den Ländern des Südens abkehrt, suchen die sich neue Partner. So wenden sich viele afrikanische Staaten, aber auch Indien jetzt verstärkt China und Russland zu.
Mehr zu USAID
USAid war 1961 während der Kennedy-Präsidentschaft gegründet worden und hat im Laufe der Jahrzehnte zu Massenimpfungen und dem Kampf gegen Unterernährung, Pandemien und HIV sowie zum Schutz von Frauen in Kontexten extremer Gewalt beigetragen. Eine stolze Bilanz: Allein im Jahr 2024 verwaltete die Organisation ein Budget von über 40 Milliarden US-Dollar, womit die USA die Liste der Länder mit den höchsten humanitären Hilfsgeldern anführten. Dieses Geld kam humanitären Organisationen in 130 Ländern zugute und war für viele von ihnen die wichtigste, manchmal sogar die einzige Quelle für Investitionen im Land.
Auf einmal ist das Geld weg
Nach einer ?Executive Order“ von Präsident Donald Trump im Januar wurden alle USAID-Gelder eingefroren. Dann ging es Schlag auf Schlag: Im Februar wurden 1.200 Mitarbeiter der Agentur entlassen, weitere 4.000 auf unbestimmte Zeit suspendiert. ?Diese Kürzungen und diese harten, einseitigen und arroganten Entscheidungen haben sich direkt auf Gesundheits- und humanitäre Projekte ausgewirkt. Deren Schließung stellt eine echte Katastrophe für die Empfängerländer dar“, erklärt Nicoletta Dentico.
?Mit dem Begriff Katastrophe meine ich nicht nur die Menschen, die Medikamente gegen HIV, Tuberkulose, Malaria oder Kinderkrankheiten erhalten haben, sondern auch die über Jahre ausgebildeten Gesundheitsfachkräfte, die in den von USAid finanzierten Einrichtungen gearbeitet haben. Wir sprechen von Zehntausenden von Menschen, deren Zukunft ruiniert wurde, und die ihrer Kinder gleich mit. Und ich beziehe mich dabei insbesondere auf den afrikanischen Kontext, wo die Hochschulbildung finanziert wurde.“
Eine Entscheidung, die die Schwächsten trifft
Die Einstellung von Programmen, die von der US-Entwicklungsbehörde finanziert wurden, hat langfristige Auswirkungen und trifft die Schwächsten: Frauen, Kinder und Kranke, die nun völlig ohne Medikamente oder Therapien dastehen oder auf andere Kooperationsprogramme angewiesen sind, die es oftmals gar nicht gibt. ?USAID war für 42 Prozent der gesamten internationalen Gesundheitszusammenarbeit verantwortlich“, betont Dentico. Und liefert konkrete Beispiele: ?In Südafrika hat die Aussetzung der Finanzierung vielversprechende HIV-Impfstoffstudien gestoppt und damit wichtige Forschungsfortschritte gefährdet. Im Hafen von Houston stecken aufgrund der Aussetzung der Hilfe immer noch rund 30.000 Tonnen Lebensmittel fest, die für internationale Hilfe bestimmt waren, und drohen zu verrotten. Eine Analyse des ?Center for Global Development‘ hat zahlreiche Institutionen identifiziert, die von Finanzierungskürzungen bedroht sind, darunter das Welternährungsprogramm (WFP) und die Impfallianz Gavi. Allen droht die Gefahr von Hunderten von Entlassungen und der Streichung oder Reduzierung von Programmen.“
Kinder sind die Ersten, die den Preis zahlen müssen
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen benötigt derzeit jedes elfte Kind weltweit humanitäre Hilfe, um dem Tod zu entgehen. In Nigeria wurden 77 auf Unterernährung von Kindern spezialisierte Einrichtungen geschlossen; damit ist die Behandlung von 60.000 Kindern mit proteinreicher Fertignahrung einfach unterbrochen. Dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) wurden 131 Millionen Dollar an Zuschüssen für sein Polio-Immunisierungsprogramm gestrichen. Sogar das UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, ist von den Kürzungen betroffen. ?Es fehlt nicht nur an Finanzmitteln, sondern es herrscht eine Verantwortungskrise. Die Kosten der Untätigkeit werden sich in Leid, Instabilität und einer verlorenen Zukunft niederschlagen“, kommentiert UNO-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi. Laut dem ?Global Humanitarian Overview 2024‘ benötigen 300 Millionen Menschen aufgrund von Krieg und Klimawandel Schutz und humanitäre Hilfe. Diese Zahl wird, wenn die Entwicklung so weitergeht, eher noch steigen.
Pandemie des Egoismus
?Angesichts der US-Entscheidung reduzieren nun auch europäische Länder ihre Investitionen in die Entwicklungszusammenarbeit drastisch: Deutschland, Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Belgien. Das bedeutet, dass das Problem nicht durch das Eingreifen europäischer Länder kompensiert wird. Wir stehen also vor einer Art Pandemie des Egoismus – einer Pandemie des Wahnsinns, wenn man bedenkt, dass die Gelder, die der internationalen Zusammenarbeit entzogen werden, für Ausgaben in Aufrüstung und Verteidigung verwendet werden.“
Dentico hält es für zynisch, dass die Gesundheit der meisten Länder des Globalen Südens derart vom Wohlwollen der reichen Länder abhängt. Sie hält die Politik der entwickelten Länder für kurzsichtig und kontraproduktiv. Zwar rechtfertigten westliche Regierungen, wie im Fall der Vereinigten Staaten, die Kürzungen der Mittel für Kooperation und humanitäre Hilfe mit einer besseren Verteilung der Mittel. Doch man mache sich nicht klar, dass in einer vernetzten Welt wie der heutigen die Folgen nach hinten losgehen und die eigenen Interessen der entwickelten Länder beeinträchtigen könnten.
* Der Text (Original: Italienisch) wurde von Stefan v. Kempis bearbeitet und ergänzt.
(vatican news)
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