Bartholomaios: Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit
Andrea Tornielli - Rimini
?Als Christen müssen wir unsere Stimme hören lassen, geeint, so wie es unsere Brüder getan haben“, und ?wir müssen auch einen festen Willen zur Gerechtigkeit bezeugen, denn ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden.“ Das sagt der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios, im Rahmen des Meetings von Rimini, wo er an einer Begegnung über das Konzil von Nizäa teilnimmt. Im Interview mit den Vatikanmedien spricht er über das gemeinsame Osterdatum für die Christen und über deren Zeugnis in einer Welt, die von Kriegen gezeichnet ist. Er erinnert an Papst Franziskus. Über Leo XIV. sagt der Patriarch, dass die erste Reise des neuen Bischofs von Rom in die Türkei führen könnte, um das Jubiläum von Nizäa zu feiern.
1700 Jahre Konzil von Nizäa
Patriarch Bartholomaios: ?Das Konzil von Nizäa war ein Meilenstein für die gesamte Geschichte des Christentums. Nach den Verheißungen Christi hat der Heilige Geist gesprochen und wirkt weiterhin in der Geschichte des Menschen. Die Väter von Nizäa, fest verwurzelt im Kerygma der Heiligen Schrift, haben das definiert, was die Kirche seit drei Jahrhunderten durch die Taufsymbole verkündet hatte, und haben die verkündete Wahrheit in Kanones gefasst. Das Konzil ruft die Christen unserer Zeit in Erinnerung, dass Christus wirklich der Logos ist, der Fleisch geworden ist, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, homoousios – eines Wesens mit dem Vater. Wäre Jesus Christus nicht Gott, gemeinsam mit dem Heiligen Geist, als unteilbare und wesensgleiche Dreifaltigkeit, dann wäre die christliche Geschichte nur eine schöne Ethik-Philosophie und nicht die Geschichte des Heils. Daraus ergibt sich unser Handeln für heute und für morgen.“
Das gemeinsame Osterdatum
In Nizäa wurde auch das Osterdatum diskutiert, es wurde nach einer Übereinkunft gesucht. Warum ist es nach so vielen Jahrhunderten noch nicht möglich, dass alle Christen Ostern am selben Tag feiern?
Patriarch Bartholomaios: ?In Nizäa wurde entschieden, dass es wichtig ist, die Auferstehung Christi am selben Tag zu bezeugen, überall in der damals bekannten Welt. Die verschiedenen historischen Umstände haben leider dem Konzil nicht entsprochen. Es steht uns nicht zu, darüber zu urteilen, dennoch verstehen wir heute, dass wir, um glaubwürdig als Christen zu sein, die Auferstehung des Erlösers am selben Tag feiern müssen. Gemeinsam mit dem seligen Papst Franziskus haben wir eine Kommission beauftragt, das Problem zu untersuchen. Wir haben einen Dialog begonnen. Es gibt jedoch unterschiedliche Sensibilitäten zwischen den Kirchen, daher ist es auch unsere Aufgabe, neue Spaltungen zu vermeiden. Für die orthodoxe Kirche kann das, was ein ökumenisches Konzil beschlossen hat, nur durch ein weiteres ökumenisches Konzil geändert werden. Dennoch sind wir alle bereit, auf den Geist zu hören, der uns gerade in diesem Jahr gezeigt hat, wie wichtig es ist, das Osterdatum zu vereinheitlichen.“
Erinnerung an Papst Franziskus
Dieses Jahr konnten tatsächlich alle Christen Ostern am selben Tag feiern. Ostern war auch der Tag des letzten öffentlichen Auftritts von Papst Franziskus, seines letzten Abschieds von den Gläubigen. Welche Erinnerungen haben Sie an Franziskus, und wie hat er Ihrer Meinung nach zum ökumenischen Dialog beigetragen?
Patriarch Bartholomaios: ?Papst Franziskus, seligen Angedenkens, war nicht nur der Bischof von Rom, wie er selbst sich bezeichnete. Er war ein Bruder, mit dem uns eine tiefe Übereinstimmung in den großen Fragen der Gegenwart und eine leidenschaftliche Sorge um die Einheit der Christen verband. Seit dem Tag seiner Wahl verspürten wir den Impuls, bei seiner Amtseinführung dabei zu sein: Das war das erste Mal in der Geschichte für einen Ökumenischen Patriarchen. Gemeinsam haben wir uns für den Frieden unter den Völkern eingesetzt, für den Dialog mit den großen Religionen, für den interreligiösen Dialog, für eine geteilte Gerechtigkeit, für die Schöpfung, für die Armen dieser Welt. Wir sind uns unzählige Male begegnet, und jede Begegnung war die Begegnung zweier Brüder, die einander lieben. Der Herr wird es ihm vergelten, was er mit seinem Leben und Werk bezeugt hat. Requiescat in pace.“
Begegnungen mit Papst Leo XIV.
Wie verliefen diese ersten Begegnungen, und was hat Sie an seinen ersten Schritten als Bischof von Rom und Hirte der Kirche beeindruckt?
Patriarch Bartholomaios: ?Wir waren sehr beeindruckt von der Gestalt des neuen Papstes, der zwar anders handelt als Papst Franziskus, aber von Anfang an die feste Überzeugung gezeigt hat, den Weg seines Vorgängers fortzusetzen. Auch mit ihm verspüren wir eine starke Übereinstimmung, und wir freuen uns besonders, dass seine erste Auslandsreise zum Ökumenischen Patriarchat in die Türkei führen wird, zu uns, nach Nizäa, wo wir gemeinsam unsere Überzeugung bezeugen werden, den ökumenischen Dialog fortzusetzen und unsere Kirchen vor den globalen Herausforderungen zu vereinen. Wir erwarten ihn mit großer Freude.“
Der Blick auf die Kriege
Heiligkeit, die Welt ist von Kriegen gezeichnet. Da ist der Konflikt in der Ukraine, eine schmerzhafte Wunde auch für die Kirchen. Da ist die Tragödie von Gaza, wo Menschen verhungern. Es gibt andere Kriege, über die kaum gesprochen wird. Was können wir tun, um eine Kultur der Geschwisterlichkeit und des Friedens zu fördern?
Patriarch Bartholomaios: ?Leider gibt es viele Kriege auf der Welt, oft fernab vom Interesse der großen Medien. Und dann ist da die Ukraine, ein Bruderkrieg, ein Skandal für die christliche und besonders für die orthodoxe Welt. Da ist Gaza und der ganze Nahe Osten, wo Interessen, die fernab der Bedürfnisse der jeweiligen Bevölkerungen liegen, nicht zu einer gerechten Friedenslösung führen, sondern eine erschütternde und unmenschliche Kriegsführung fortsetzen. Als Christen müssen wir unsere Stimme hören lassen, geeint, so wie es unsere Brüder getan haben, der griechisch-orthodoxe Patriarch von Jerusalem, Theophilos, und der lateinische Patriarch, Kardinal Pizzaballa. Wir müssen auch eine feste Bereitschaft zur Gerechtigkeit bezeugen, denn ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Aber wir Christen haben auch eine unbesiegbare Waffe: das Gebet. Und das dürfen wir niemals vergessen.“
Danke, Heiligkeit, und danke auch für Ihre Teilnahme an diesem Meeting für die Geschwisterlichkeit der Völker, eine weitere Gelegenheit des Friedens.
Patriarch Bartholomaios: ?Ich habe die Einladung gerne angenommen und bin hier in Rimini, um mein bescheidenes Zeugnis zu geben. Morgen kehre ich an meinen Sitz Istanbul zurück.“
(vatican news - mg)
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