UN-Menschenrechtsanwalt zu Gaza: Handeln, bevor es zu sp?t ist
Thaddeus Jones - Vatikanstadt
Sidoti ist Mitglied der Unabhängigen Internationalen UN-Ermittlungskommission für die besetzten palästinensischen Gebiete einschließlich Ost-Jerusalem und Israel. Im Interview mit Radio Vatikan warnt der australische Jurist vor dem Hungertod tausender Menschen im Gazastreifen, sollte nicht zeitnah Lebensmittelhilfe eintreffen.
?Am wichtigsten ist, dass ausreichend Nahrung, Wasser, medizinische Versorgung und Treibstoff - unter anderem für Krankenhäuser, um Strom für Brutkästen und Sauerstoffversorgung zu garantieren – hineingelassen werden. Einige UN-Agenturen sagen bereits, die rote Linie sei überschritten – dass es tausende, vielleicht zehntausende Tote geben könnte. Ich hoffe, das stimmt nicht. Ich bin kein humanitärer Experte, aber ich hoffe inständig, dass es noch nicht zu spät ist, ein Massenverhungern in Gaza zu verhindern.“
?Trostpflaster“ nach internationaler Kritik
Der UN-Ermittler sieht kaum Anzeichen von Seite Israels, tatsächlich Hilfen zuzulassen. Die jüngsten Zugeständnisse der Behörden bezeichnet er als ?völlig unzureichend“ und ?Trostpflaster“. Luftabwürfe von Hilfsgütern könnten kaum Lkw-Hilfslieferungen ersetzen. Die aktuellen Lieferungen seien weit entfernt von der Menge an 2.000 Lkw täglich, die UN-Agenturen und internationale NGOs als Grundversorgung Palästinas fordern.
?Am 28. Juli – unter den gelockerten Bedingungen, die der israelische Premierminister verkündet hatte – kamen nur 90 Lkw nach Gaza. Das sind weniger als ein Sechstel der Lkw-Zahl während der Waffenruhe und weniger als fünf Prozent dessen, was zur Grundversorgung der Menschen nötig wäre. Das ist völlig unzureichend. Es ist buchstäblich ein Trostpflaster für die internationale Kritik – denn dieses von Israel verursachte Massenverhungern ist ein schweres Kriegsverbrechen.“
Druck – ?so einfach ist das“
Die internationale Gemeinschaft müsse nicht nur mit Worten, sondern ?echten Maßnahmen“ und ?echtem Druck“ auf Israel einwirken, um Leben zu retten. ?Andere Staaten sind nicht nur moralisch verpflichtet, sondern auch völkerrechtlich, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Israel zu zwingen, ausreichende Nahrungsmittelhilfe hereinzulassen. Es warten Tausende Lkw an den Grenzen zu Gaza, bereit zur Einfahrt – sie müssen hereingelassen werden. So einfach ist das.“
Die Staaten müssen Sidoti zufolge ihre Verpflichtungen nach internationalem Recht ernst nehmen und Konsequenzen ziehen, führt er weiter aus. Das habe der Internationale Gerichtshof habe im Juli klar formuliert. ?Alle Handlungen von Staaten, die auf irgendeine Weise die rechtswidrigen Handlungen der israelischen Regierung unterstützen, müssen eingestellt werden. Das hätte Staaten weltweit im Juli dazu bewegen müssen, ihre Beziehungen zu Israel zu prüfen und alle Aspekte zu beenden, die direkt oder indirekt Israels Völkerrechtsbrüche fördern. Es ist Zeit, dem endlich nachzukommen.“
Zwei-Staaten-Lösung
Langfristig sei ein dauerhafter Waffenstillstand zwischen Israel und Palästina notwendig, und es müsse eine Zwei-Staaten-Lösung umgesetzt werden, bekräftigt Sidoti weiter. Auch der Heilige Stuhl hält an diesem Modell als Option einer gewaltfreien, politischen Lösung bis heute fest. Der UN-Ermittler sieht auch hier die Staaten in der Pflicht, auf die Konfliktparteien entsprechend einzuwirken.
?Es braucht Druck – insbesondere auf die israelische Regierung, aber auch auf die palästinensischen Behörden – damit endlich umgesetzt wird, was seit rund 75 Jahren als Lösung für den Nahostkonflikt gilt. Die UN-Vollversammlung verabschiedete 1947 ihre Resolution zur Zwei-Staaten-Lösung. Doch seither – mit Ausnahme vielleicht der Oslo-Abkommen in den 1990er Jahren – ist jeder Schritt ein Rückschritt von dieser Entscheidung. Das Problem ist nicht das Recht. Nicht die Rhetorik. Das Problem ist das Nicht-Handeln.“
Allgemein sieht der UN-Ermittler das internationale Recht, den Multilateralismus und auch die UNO heute in der Krise - einen Punkt, den auch Papst Franziskus oft angesprochen hat. Sidoti spricht von ?einer der schwersten Krisen für das internationale Rechtssystem seit dem Zweiten Weltkrieg“. Schwindendes Vertrauen, aber auch gezielte Angriffe bestimmter Staaten und Politiker, ?die bewusst internationales Recht und internationale Institutionen zerstören wollen“, hätten damit zu tun.
?Diese Krise kann nur bewältigt werden, wenn das System beweist, dass es auf schwerste Rechtsverletzungen reagieren kann. Bisher ist das leider nicht geschehen“, so der Anwalt.
Appell des Papstes
Papst Leo hatte am vergangenen Sonntag auf eine Einhaltung des humanitären Rechtes in Gaza gedrängt; er rief bereits merhfach wie sein Vorgänger Franziskus zu einem Gewaltstopp, zu humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung, die Freilassung der israelischen Geiseln, zu Verhandlungen und zu einer politischen Lösung auf.
(vatican news – pr)
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