Kardinal Kasper: ?Franziskus hinterl?sst ein gro?es Erbe“
Das sagte der deutsche Kurienkardinal an diesem Mittwoch in einem Interview mit Radio Vatikan. Auch die Wiederentdeckung der synodalen Struktur der Kirche durch Franziskus bedeute ein ?großes Vermächtnis“. Kasper wörtlich: ?Das hat er angestoßen, das ist noch nicht alles ausgeführt; insofern kann man sagen, es sei ein unvollendetes Pontifikat. Aber solche großen Veränderungen kann man in einem Pontifikat allein gar nicht machen.“
Der argentinische Pontifex habe zwar ?keine Revolution gemacht“, aber doch ?wichtige, zukunftsorientierte Impulse gegeben“, nicht zuletzt durch seine Einfachheit und Menschlichkeit. ?Man darf doch hoffen, dass ein neuer Papst gewählt wird, der auf dieser Linie (in seiner Weise) dann weitergeht. Zurückfahren kann man nicht – das ist ausgeschlossen!“
Die zentrale Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes hat der verstorbene Papst nach Kaspers Beobachtung ?klar durchgehalten“, auch gegen Widerstände. ?Ich denke, dass ihn diese Gegnerschaften in mancher Sache auch ausgebremst haben; doch er war als Papst für die Einheit der Kirche verantwortlich und konnte also keine Brüche provozieren, das hat er auch nicht gewollt.“
Kardinal Walter Kasper, ein Dogmatiker und früherer Bischof von Rottenburg-Stuttgart, ist seit 2001 Kardinal. Er stand von 2001 bis zu seinem Ruhestand 2010 an der Spitze der vatikanischen Ökumene-Behörde (heute: Dikasterium für die Förderung der Einheit der Christen).
Interview
Herr Kardinal, wer war Papst Franziskus für Sie? Was hinterlässt er der Kirche?
?Er hinterlässt eine große Lücke, würde ich meinen, denn er hat das Papsttum in einer neuen Weise ausgeübt: nicht abgehoben und erhaben über die anderen, sondern mit den Menschen, bei den Menschen. Er hat am Schluss, am Ostersonntag, unter sicher großer Anstrengung noch eine Fahrt durch die Menge gemacht, und das war schon eindrucksvoll… Das ist das eine, und das andere, was mich als Theologe vor allem interessiert hat: Bei ihm stand das Evangelium im Mittelpunkt! Und die Dogmen und die moralischen Prinzipien werden vom Evangelium her erläutert und gedeutet. Das ist auch für mich ein ganz wichtiger, neuer Anfang – dass man nicht von Gesetzen ausgeht, sondern von der lebendigen Botschaft Christi. Und dann natürlich seine Zuwendung zu den armen, ausgestoßenen Migranten und zu einfach allen Menschen, die schwach sind: Das hat eigentlich das Problem der südlichen Hemisphäre hier auf den Tisch gelegt, und dahinter kann man nicht mehr zurückgehen.
Die synodale Struktur der Kirche – das ist, glaube ich, sein großes Vermächtnis. Das hat er angestoßen, das ist noch nicht alles ausgeführt; insofern kann man sagen, es sei ein unvollendetes Pontifikat. Aber solche großen Veränderungen kann man in einem Pontifikat allein gar nicht machen. Da gibt es noch einiges zu verbessern und weiterzuführen, zu klären für den nächsten Papst, der hoffentlich diese Initiative aufgreift, aber das ist ein großer Schritt. Wenn das gelingt, ohne dass man irgendetwas anderes abschafft oder ein Dogma nicht mehr beachtet… Das ist für die Kirche und ihren Stil wichtig, aber es ist auch grundlegend für die Ökumene, das Gespräch mit den anderen Religionen und auch mit denen, die eigentlich nichts mehr mit dem Glauben zu tun haben wollen und auch nichts zu tun haben. Insofern hat Franziskus schon wichtige, zukunftsorientierte Impulse gegeben, aber keine Revolution gemacht.
Natürlich, er hat nicht all das erfüllt, was man in Deutschland und sonst im Westen so alles will; das hat er nicht getan. Aber er hat die Bedingungen geschaffen, darüber zu reden! Man kann reden, ohne dass man dann nachher kritisiert wird, und das ist ein neuer Stil, das hat ein neues Klima in der Kirche geschaffen – und die Leute, auch die einfachen Leute, haben das verstanden! Er war ein menschlicher Papst; er ist ja auch in seinem Leben einfach und schlicht gewesen, und so ist man traurig, dass man ihn verloren hat. Aber man darf doch hoffen, dass ein neuer Papst gewählt wird, der auf dieser Linie (in seiner Weise) dann weitergeht. Zurückfahren kann man nicht – das ist ausgeschlossen.
Franziskus‘ Tod hat mich betroffen gemacht; ich war auch menschlich einigermaßen gut mit ihm verbunden, habe ihn schon in Buenos Aires kennengelernt, wo ich mehrfach war…
Und dann die ganze Frage der Barmherzigkeit: Gott als barmherzig zu begreifen. Das ist nichts Neues, das ist in den Psalmen und in der Botschaft Jesu immer da; aber man hat es doch etwas vergessen und mehr den strengen und den strafenden Gott verkündet. Und jetzt also den barmherzigen Gott! Das ist auch die Grundbotschaft Jesu, daran besteht gar kein Zweifel. Das war schon etwas Wichtiges, was uns auch verbunden hat vom ersten Tag seines Pontifikats an. Er hat diese Botschaft auch klar durchgehalten, auch gegenüber vielen Anfeindungen, die es schon gegeben hat. Ich denke, dass ihn diese Gegnerschaften in mancher Sache auch ausgebremst haben; doch er war als Papst für die Einheit der Kirche verantwortlich und konnte also keine Brüche provozieren, das hat er auch nicht gewollt. Ich habe jedenfalls immer bewundert, wie er das nicht ?weggesteckt‘, sondern angenommen und damit gelebt hat. Also, es ist ein großes Erbe, das er uns hinterlässt: mal eine andere Art, Papst zu sein. Ganz anders als auch seine Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI., die bedeutend waren – der Stil war doch ein anderer. Und doch sind alle drei katholisch (lacht). Man sollte keine großen Gegensätze aufbauen, sondern dankbar sein für den Beitrag, den Franziskus geleistet hat.“
Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?
?Ich habe morgens beim Aufstehen das Handy aufgemacht, und da kam ja da schon die Nachricht. Ich war nicht geschockt, weil ich damit gerechnet habe, dass das in dieser Weise nicht mehr lange gehen kann. Er hat sich ja auch gar nicht geschont… Aber ich war dankbar, dass er an Ostern sterben durfte. Er ist in die Auferstehung hinein gestorben! … Das war ja auch seine Hinterlassenschaft. Er wollte uns noch alle segnen, Urbi et orbi – und dann ist er sozusagen von uns gegangen. Also, bei den Trauerfeierlichkeiten ist ein österlicher Anstrich spürbar, und das ist auch selbst wieder ein Zeugnis.“
Sie haben an diesem Mittwochmorgen an der Überführung der sterblichen Überreste des Papstes in den Petersdom teilgenommen. Wie war das von der Stimmung her?
?Das war sehr ernst, sehr gesammelt, sehr ruhig. Ich habe bei den Kardinälen große Emotionen festgestellt, aber es war doch sehr ernst, ein wirkliches Abschiednehmen von einem Papst – und dann natürlich die Ungewissheit, wie es weitergeht. Ich bin überzeugt, es wird ordentlich und gut weitergehen, aber das hat man gespürt. Da war schon eine Abschiedsstimmung – da redet man nicht so viel. Aber ja, es war eine gesammelte, österliche Ruhe, die man da gespürt hat. Es waren auch einige ältere Kardinäle dort, die sich mit dem Gehen schwertun, aber das ist ja auch eine Erinnerung: ?Du bist auch mal dran, dass du selber Abschied nehmen musst‘. Es war eine gute, einfache, schlichte Feier, aber mit tiefem Inhalt.“
Das Interview mit Kardinal Kasper führte Stefan v. Kempis von Radio Vatikan.
(vatican news)
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