Leo XIV.: Meditation über den Durst Jesu am Kreuz
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
?In der Geschwisterlichkeit, im einfachen Leben, in der Kunst, ohne Scham zu bitten und ohne Berechnung zu geben, liegt eine Freude, die die Welt nicht kennt. Eine Freude, die uns zur ursprünglichen Wahrheit unseres Seins zurückführt: Wir sind Geschöpfe, geschaffen, um Liebe zu geben und zu empfangen.“
Ausgangspunkt der Ansprache von Papst Leo an die Pilger und Besucher auf dem römischen Petersplatz war das Nachdenken über die letzten Worte Jesu am Kreuz. Es sei, so formulierte der Papst, zugleich ?der hellste und der dunkelste Augenblick in Jesu Leben“ gewesen, als dieser sterbend gesagt habe ?Mich dürstet“ (Joh 19,28) und unmittelbar danach: ?Es ist vollbracht“ (19,30).
Jesus am Kreuz: Kein siegreicher Held, sondern Bettler um Liebe
?Es sind letzte Worte, und sie sind erfüllt von der Erfahrung eines ganzen Lebens und offenbaren den Sinn der gesamten Existenz des Sohnes Gottes. Am Kreuz erscheint Jesus nicht als siegreicher Held, sondern als Bettler um Liebe. Er verkündet nicht, er verurteilt nicht, er verteidigt sich nicht; demütig bittet er um das, was er aus sich selbst nicht geben kann.“
Der Durst des Gekreuzigten sei letztlich Ausdruck eines tiefen Verlangens ?nach Liebe, nach Beziehung, nach Gemeinschaft“. Der ?stille Schrei“ eines Gottes, der, da er unser ganzes Menschsein teilen wollte, sich auch von diesem Durst erfüllen lasse.
?,Mich dürstet‘, sagt Jesus, und offenbart so seine und auch unsere Menschlichkeit. Keiner von uns ist autark. Niemand kann sich allein retten. Das Leben ist nicht ?erfüllt‘, wenn wir stark sind, sondern wenn wir lernen zu empfangen. Und genau in diesem Moment, nachdem er von Fremden einen in Essig getränkten Schwamm erhalten hat, verkündet Jesus: ?Es ist vollbracht‘. Die Liebe wurde bedürftig, und gerade deshalb hat sie ihr Werk vollendet.“
Der Papst sah also die beiden Jesusworte am Kreuz zusammen, deutete das ?Mich dürstet“ im Licht des ?Es ist vollbracht“.
Erlösung liegt nicht in Autonomie...
?Das ist das christliche Paradox: Gott rettet nicht, indem er handelt, sondern indem er an sich handeln lässt. Nicht indem er das Böse mit Gewalt besiegt, sondern indem er die Schwäche der Liebe voll und ganz annimmt. Am Kreuz lehrt uns Jesus, dass der Mensch nicht durch Macht seine Erfüllung findet, sondern durch vertrauensvolle Offenheit gegenüber anderen, selbst wenn sie uns feindselig gegenüberstehen. Erlösung liegt nicht in Autonomie, sondern darin, demütig die eigene Not zu erkennen und sie frei auszudrücken.“
Eine ?scheinbar einfache Wahrheit“, die aber schwer zu akzeptieren sei, so Papst Leo XIV. Schließlich lebten wir in einer Epoche, die um Effizienz und Leistung kreise. Dabei bestehe die wahre Hoffnung darin, dass sogar der Sohn Gottes sich nicht für die Selbstgenügsamkeit entschieden habe, sondern für die Abhängigkeit von anderen. Und damit sei ?unser Durst – nach Liebe, nach Sinn, nach Gerechtigkeit – kein Zeichen des Versagens, sondern der Wahrheit“. Das Maß unserer Menschlichkeit liege nicht in dem, was wir erreichten, ?sondern in unserer Fähigkeit, uns lieben und, wenn nötig, auch helfen zu lassen“.
?Jesus rettet uns, indem er uns zeigt, dass Bitten nicht unwürdig, sondern befreiend ist… Jesu Durst am Kreuz ist daher auch unserer. Es ist der Schrei der verwundeten Menschheit, die noch immer nach lebendigem Wasser sucht. Und dieser Durst entfernt uns nicht von Gott, sondern vereint uns mit ihm. Wenn wir den Mut haben, ihn anzuerkennen, können wir entdecken, dass selbst unsere Zerbrechlichkeit eine Brücke zum Himmel ist.“
Das Menschlichste und Göttlichste zugleich
Es gebe ?nichts Menschlicheres, nichts Göttlicheres, als zu wissen, wie man sagt: Ich brauche“, fügte Leo noch hinzu. Und wieder einmal war er in seiner Mittwochs-Katechese ganz ohne Zitate seiner Vorgänger oder auch des hl. Augustinus ausgekommen…
(vatican news)
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