Unser Buchtipp: ?Bibel heute – Antisemitismus“
Ralib-Victor Alyase - Vatikanstadt
Zuallererst werden zwei für die weiteren Ausführungen relevanten Termini, nämlich ?Antisemitismus“ und ?Antijudaismus“ definiert. Anschließend wird in einer Übersichtsseite ein Überblick über Argumentationsmuster gegeben, woraufhin dann ein erster Erlebnisbericht eines jüdischen Rabbiners folgt. Daraufhin finden sich mehrere Fachartikel, welche das Leitthema aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, darunter bibelwissenschaftlich, kunstgeschichtlich, liturgisch und praktisch. Einige dazwischengeschobene künstlerisch-poetischen Darstellungen und Texte geben Impulse zur Besinnung und lockern den Textverlauf angenehm auf.
Ein interdiszipinärer Ansatz mit nötigem Feingefühl
Die Multiperspektivität bildet eine Stärke des Magazins. Verschiedene universitär Lehrende und Forschende verschiedener Disziplinen kommen in ihm gleichsam als ein bunter Stimmenchor zusammen, jedoch alle um die gemeinsame Behandlung des Leitthemas bemüht. Dabei werden, was die Bibelwissenschaft anbelangt, zentrale Textstellen, beispielsweise die Römerbriefpassagen oder das Sabbatgebot erwähnt.
Ich empfinde es hier insbesondere im Kontext der Thematik als sehr aufmerksam, das alttestamentliche Passagen gemäß einer offenkundig-jüdischen Übersetzung (Martin Buber) zitiert wurden und auch die christliche Jahreszählung (v./n.Chr.) vermieden wurde.
Vereinzelt zu unbedingt?
Vereinzelt kann man sich fragen, ob nicht aufgrund eines sicherlich tugendhaften Anliegens der unbedingten Bekämpfung von Antisemitismus/ -judaismus manche Interpretationen doch eher ad-hoc erscheinen und nicht der natürlichen Lesart des jeweiligen Textes entsprechen. So zitiert beispielsweise Thomas Schumacher in einem Artikel Römer 9,6 und betont hier, dass aufgrund fehlender Satzzeichen in der Textüberlieferung bis zum 9. nachchristlichen Jahrhundert der Aussagesatz daher ursprünglich auch eine Frage hätte bilden können. Theoretisch denkbar, scheint diese Lesart aber schon durch die zwei Folgeverse infrage gestellt, wenn diese unter Gebrauch eines alttestamentlichen Zitats eine klare Unterscheidung zwischen ?Kindern des Fleisches“ und ?der Verheißung“ etablieren.
Vielleicht wäre hier ein Ansatz hilfreicher, welcher die Differenz von korrekter Textwiedergabe und darauffolgender Ableitung von Implikationen (d.h. ?was soll ich deswegen tun?“) klarer vor Augen stellt. Schließlich ist noch lange nicht gesagt, dass nur weil ein Bibeltext in seiner natürlichen Lesart klare Unterschiede zwischen dem Gottesvolk Israel und der neutestamentlichen Gemeinde zieht, er damit zugleich zu diskriminierenden Handlungen gegen erstere aufruft. Es gilt daher kritisch zu hinterfragen, warum einzelne Leute diese Texte so verstanden haben, und hier anzusetzen. Eine theologisch begründete Differenzierung an sich ist noch keine Diskriminierung.
Im Artikel von Claudia Janssen fand ich hingegen eine sehr aufschlussreiche Analyse von Lukas 2,49, die in einzelnen Übersetzungen offenbar falsch wiedergegeben wird. Dadurch findet jedoch eine fatale Bedeutungsverschiebung der Textstelle statt, welche, wenn korrekt übersetzt, tatsächlich das Potential hätte, antijudaistischen Tendenzen entgegenzuwirken.
Tiefere Erschließung wünschenswert
Hier und dort könnte man sich von der Zeitschrift zudem eine tiefere Erschließung und Angabe von Quellen wünschen. Beispielsweise wird in mehreren Artikeln auf die im letzten Jahrhundert vorgenommene Standortbestimmung der katholischen Kirche bezüglich des Judentums Bezug genommen, diese jedoch nie weiter erläutert oder ausgeführt. Dies wäre aber überaus hilfreich, um die in den Artikeln vorgenommenen Einzelbemühungen auf Ent-Antijudaisierung in einem gesamtkatholischen Kontext einschätzen und beurteilen zu können.
Als Beispiel für das Zweitgenannte kann hingegen der Artikel von Karoline Ritter über das Sabbatgebot gelten. In diesem schreibt sie, dass das berühmte neutestamentliche ?Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat“ (Markus 2,27) sich genauso auch in der rabbinischen Tradition finden ließe, unterlässt es dann aber leider, eine entsprechende Referenz zu ergänzen.
Einlesen, um weiterzulesen
Alles in allem ziehe ich somit das Fazit, dass die Zeitschrift ein definitiv wichtiges Thema behandelt – und dies auf interdisziplinäre Weise und mit einer qualifizierten, breiten Autorenschaft. Wenn bisweilen die nötige Tiefe fehlt, mag man dies dem Zeitschriftenformat zugutehalten. Doch zum Einlesen in die Thematik ist das Heft durchaus geeignet; es empfiehlt sich dann darüber hinaus ein anderweitiges Weiterlesen.
Zum Mitschreiben
(vatican news)
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