Schweiz: Kirche im Tessin leitet Verfahren gegen verurteilten Priester ein
Der am Donnerstag vor dem Strafgericht Lugano wegen sexueller Übergriffe verurteilte Tessiner Priester bleibt kirchlich suspendiert. ?Derzeit unterliegt er seitens der Kirche des vorsorglichen Priesteramtsverbots; daher darf er keine Seelsorge leisten und keine Messe feiern, bis das Ergebnis des kanonischen Verfahrens bekannt gegeben wird“, sagte Alain de Raemy, apostolischer Administrator des Bistums Lugano, im Gespräch mit catt.ch. Das Gericht hatte den Geistlichen zu 18 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.
De Raemy machte deutlich, dass die Kirche das Urteil anerkennt: ?Es steht also fest, dass es zu Missbrauch gekommen ist. Ich bin darüber sehr betrübt für alle Betroffenen.“ Besonders beeindruckt habe ihn die Aussage eines jungen Mannes, der den Mut aufbrachte, den Priester anzuzeigen. ?Der junge Mann empfand ein tiefes Unbehagen, als er den Menschen anzeigen musste, der ihn im Glauben wachsen liess.“
Zusammenarbeit
Mit Blick auf mögliche weitere Opfer verwies de Raemy auf die Zusammenarbeit der Diözese mit der kantonalen Opferhilfestelle sowie auf die ?Zuhörgruppe Gava“, die Betroffenen von Missbrauch im kirchlichen Umfeld einen geschützten Austausch ermöglicht. ?Alle Menschen sind unterschiedlich, aber das Leiden ist immer da“, so de Raemy. Dieses könne nicht in quantitativen Kategorien gemessen werden, sondern sei eine persönliche Erfahrung.
Auf die Frage nach der weiteren kirchenrechtlichen Behandlung des Falls erklärte der Administrator: ?Da es sich um Minderjährige handelt, liegt die Zuständigkeit bei Rom. Der Vatikan wird für sein Urteil auch das Urteil und die Akten des Zivilprozesses zur Verfügung haben.“ Ob es zu einem förmlichen kirchlichen Prozess komme, entscheide Rom.
Kirche muss begleiten
Zur Begleitung des verurteilten Priesters sagte de Raemy: ?Die Kirche muss ihre fehlbaren Kinder immer begleiten, auch jene, die ein Verbrechen begangen haben. Sie darf aber niemals die Ziviljustiz ersetzen.“ Das Gericht habe dem Priester eine psychologische Betreuung auferlegt, deren Umsetzung nun in seiner Verantwortung liege.
Mit Blick auf die Vergangenheit räumte de Raemy ein, dass die Kirche aus dem Fall Lehren ziehen müsse: ?Die Geschichte lehrt uns, immer sehr aufmerksam zu sein gegenüber Menschen, die Unbehagen äussern – nicht nur bezüglich sexuellen Missbrauchs, sondern auch bezüglich Macht- und spirituellem Missbrauch.“ Präventionskurse für Priester und kirchliche Mitarbeiter seien bereits angelaufen.
De Raemy unterstützte zudem die Entscheidung des Tessiner Regierungsrats, eine gesetzliche Meldepflicht für kirchliche Institutionen einzuführen: ?Wenn der Staat verpflichtet ist, die Kirche zu informieren, sobald ein Mitglied des Klerus angeklagt wird, muss auch die Kirche verpflichtet sein, einen Fall dem Staat zu melden.“
(catt.ch - mg)
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