Leisner-Nichte: Papst hat mit Kolbe alle NS-Opfer gewürdigt
Stefanie Stahlhofen - Wien
Radio Vatikan: Wie ist das für Sie, wenn Sie das jetzt hören, dass Papst Leo einen anderen Märtyrer der NS Zeit, Kolbe, würdigt und sagt: ?Bittet Gott durch seine Fürsprache, allen Völkern, die unter der Tragödie des Krieges leiden, Frieden zu schenken?
Monika Kaiser-Haas, Nichte des Seligen Karl Leisner: Ja, was gibt es Größeres und Schöneres als Frieden? Und wenn er Maximilian Kolbe erwähnt, ist das für mich schon ganz bedeutsam, weil er damit alle meint und einschließt. Wenn ich über Karl Leisner spreche, schließe ich alle Seligen, alle Heiligen und alle normalen Häftlinge ein. Sie haben alle gelitten, sie waren alle ehrlos, wehrlos, rechtlos. Und Martin Niemöller hat gesagt, es war im KZ tausendmal schlimmer, als man sich das vorstellen kann. Von daher finde ich das schon sehr bedeutsam.
Radio Vatikan: Maximilian Kolbe ist schon ein Heiliger, auch der katholischen Kirche. Karl Leisner ist bisher ein Seliger. Sie waren bei der Seligsprechung dabei, sowohl von Kolbe als auch von Leisner.
Monika Kaiser-Haas: Ja, das sind einfach unheimlich berührende Erinnerungsfeiern. Und wer hat schon das Glück, in der Familie einen Seligen zu haben? Und Maximilian Kolbe - ich habe ja auch Auschwitz besucht. Also wenn man das sieht, dann weiß man schon, was diese Menschen hinter sich gebracht haben. Und Maximilian Kolbe ist für einen anderen in den Tod gegangen. Das muss man ja auch erst mal schaffen im Leben. Das ist auch ein ganz großartiger Märtyrer. Und umso schöner, dass Papst Leo ihn erwähnt hat.
Die Geschichte von Karl Leisner
Radio Vatikan: Karl Leisner. Der Name sagt vielleicht gar nicht so vielen Leuten was. Wer war Karl Leisner?
Monika Kaiser-Haas: Ja, er war ein Junge, der am Niederrhein aufwuchs, der das Leben einfach genießen konnte, der eine sehr nette Familie hatte. Er hatte vier Geschwister, drei Schwestern und einen Bruder. Die jüngste Schwester ist meine Mutter. Von daher ist mir die Familie Leisner über Jahrzehnte sehr vertraut. Also dass Karl so geraten war, das schreibe ich der Familie zu, weil sie einfach Familie wertschätzten, kombiniert mit dem katholischen Glauben.
Radio Vatikan: Er ist ja erst spät Priester geworden. Er ist in einem Konzentrationslager geweiht worden. Warum ist dort hingebracht worden?
Monika Kaiser-Haas: Ja, letztlich ist er eingeliefert worden, durch eine unbedachte Äußerung nach dem Attentat auf Adolf Hitler im Bürgerkeller in München. Weil er, als er davon hörte, da sagte er zu seinen Mitpatienten in der Lungenheilstätte: Ja, schade, dass er nicht dabei war. Und da wurde er verraten. Und nach kurzer Zeit kam die Gestapo, und nach zwei Stunden wurde er schon abgeführt. Er hätte die Chance gehabt, seine Meinung zu ändern. Ein Richter hat das ihm ermöglicht, aber er wollte das nicht. Er blieb bei seiner Meinung, dass es für Deutschland besser gewesen wäre, wenn Hitler umgekommen wäre.
Radio Vatikan: Wohin ist er dann genau gekommen? Und wie ging es dann weiter?
Monika Kaiser-Haas: Ja, er ist in das Gefängnis in Freiburg eingeliefert worden, etwas später nach Mannheim verlegt worden, und von da aus war klar, dass er ins KZ Sachsenhausen und später, Ende 1940, ins KZ Dachau kam. Dort gab es ja die Priesterblöcke 26, 28 und 30, und er kam in den Block 26, er war der Jüngste, war von Anfang an unglaublich beliebt. Er war ja Diakon, aber es gab auch Theologie, Studenten und Priester. Die haben sich gut verstanden. Es war schon eine gute Gemeinschaft, mit Otto Pies, der dann sein engster Freund wurde und der ihn auch spirituell begleitet hat im KZ und ihm ganz viel Zuwendung geschenkt hat. Auf diesem schweren Weg der Krankheit und dem schönen Weg zur Priesterweihe.
Priesterweihe im KZ
Radio Vatikan: Damit sind wir jetzt bei dieser Priesterweihe, die im KZ erfolgt ist. Einmalig in der Geschichte. Was können Sie uns über diese Hintergründe sagen?
Monika Kaiser-Haas: Im September 1944 wurde der französische Bischof Gabriel Piguet aus der Diözese Clermont eingeliefert. Und die Aufseher versäumten es zu erkennen, dass der Bischof war und somit nicht in den Ehrenbunker kam. Und da die Häftlinge schon vorher Pläne schmiedeten, wir müssten einen Bischof im KZ haben, dann könnte der Karl tatsächlich noch zum Priester geweiht werden. Und dann haben die, nachdem sie hörten, es ist jetzt ein französischer Bischof da, alle Aktivitäten gestartet: Ideen, Gedanken wurden gesammelt, und so viele Menschen haben sich beteiligt. Es wurde ein Bischofsstab geschnitzt, ein Bischofsring in den Messerschmidt-Werken hergestellt. Es wurden rote Strümpfe gestrickt. Es wurde eine Mitra hergestellt, damit die Weihe so schön wie in einem Dom war.
Obwohl mein Onkel zunächst nicht bereit war zur Priesterweihe, weil er in Münster geweiht werden wollte und seine Primiz in seinem Heimatort Kleve feiern wollte. Natürlich mit der Familie und mit Freunden. Aber als er erkannt hatte, dass das nicht mehr möglich war, hat er eben dann doch zugestimmt zu dieser Priesterweihe.
Radio Vatikan: Und wie lief das dann genau ab? Was ist überliefert?
Monika Kaiser-Haas: Ich kenne drei Häftlinge, die die Priesterweihe miterlebt hatten und die uns erzählt haben in der Familie, wie das war. Sie haben immer gesagt, diese Priesterweihe und diese Prämiz seien der Höhepunkt während ihrer KZ-Haft gewesen. Die hätte so viel Hoffnung und Zuversicht vermittelt und so eine Würde ausgestrahlt - in dieser ,Stadt des Todes'. Das Glück muss unermesslich gewesen sein für alle Beteiligten, nicht nur für den Neupriester, sondern auch für alle Mithäftlinge, die die Priesterweihe oder Primiz miterlebt hatten.
Kapelle dank guter Beziehungen zum Vatikan
In Block 26 wurde etwa um 1940 eine Lagerkapelle eingerichtet, dank der guten Beziehungen der Bischöfe zum Vatikan, für diese Priester, damit die die Möglichkeiten hatten, ihre Gebete und ihre Gottesdienste zu feiern. Und in dieser schlichten, einfachen Baracke stand eine Muttergottes, da stand ein Altar, den es noch gibt, den Schönstatt gerettet hat und der heute in Schönstatt steht, mit sechs Kerzenleuchtern und Blumen, aus der Plantage. Die haben alles möglich gemacht. Das ist unglaublich, diese Kreativität und dieses Über-sich-Hinauswachsen, was diese Gemeinschaft der Häftlinge für diesen beliebten jungen Diakon geschafft haben.
Monika Kaiser-Haas: Das war das größte Glück seines Lebens. Er hatte drei Wünsche im KZ mehrfach aufgeschrieben: Er wünschte sich Gesundheit, er wünschte sich Freiheit und die Priesterweihe. Die Freiheit hat er am 4. Mai 1945 erlangt. Und zuvor, im Dezember, am dritten Adventssonntag, dem Gaudete-Sonntag, die Priesterweihe, und am Stephanustag die Primiz. Er fühlte sich auch gesegnet von Gott für diese Gnaden, die er empfing, durch diese Dinge. Die Gesundheit hätte er sich natürlich sehr gewünscht, weil er mit Begeisterung sicher als Seelsorger tätig geworden wäre und viele auch hätte ansprechen können. Aber es war sein Schicksal. Dem hat er sich ergeben, und seine Beziehung zu Gott - wie die gewachsen ist, das ist einfach unglaublich, wie man auch durch Leiden stark werden kann im Glauben.
Radio Vatikan: Und wie ging es dann hinterher weiter, als er freigekommen ist?
Monika Kaiser-Haas: Ja, die Freiheit. Er kam ja dann in der Stadt Dachau zu den Barmherzigen Schwestern in das Waldsanatorium Planegg. Und dort wurde er wie selbstverständlich aufgenommen. Er bekam ein Einzelzimmer. Und man muss sich vorstellen: Es kommt einer nach fünfeinhalb Jahren Haft in ein Einzelzimmer. Guckt. Schaut in einen Wald, hört Vogelgezwitscher und hat weiße Bettwäsche. Das beschreibt er ja. Er hätte die Menschenwürde wieder gewonnen in diesem Haus. Und diese Schwestern? Die haben sich einfach verdient um alles gemacht. Die haben nichts verlangt in dieser Zeit. Es war ja immerhin vom 4. Mai bis zum 12. August. Die haben die Familie aufgenommen. Alles wie selbstverständlich. Und deswegen fühlen sich unsere Familien sehr mit den Schwestern verbunden. Bis heute.
Und Karl Leisner ist Seliger. Sein Tod wurde auch als Martyrium anerkannt, wobei er später gestorben ist, als er schon wieder befreit war.
Monika Kaiser-Haas: Genau, so ist das.
Radio Vatikan: Wie sieht es aus mit einem Heiligsprechungsprozess?
Monika Kaiser-Haas: Ich werde ganz häufig darauf angesprochen und eigentlich in den letzten Jahren zunehmend ermutigt, da auch mal tätig zu werden. Vielleicht ist der erste Schritt, eine Unterschriftenliste zu sammeln, weil das Wunder steht noch aus. Und da muss man halt Geduld haben. Es wäre zu schön, weil er ja auch ein Patron der Jugend Europas sein könnte, wie Papst Johannes Paul II. vorgeschlagen hat. Und er könnte ja auch für die Priesterberufungen stehen, dass man erkennt, dass das nicht nur einfach ein Geschenk des Himmels ist, dass man auch sehr viel dafür tun muss, um überhaupt eine Berufung zu erspüren. Und da muss der Glaube schon mit Leidenschaft gelebt werden, sonst geht das nicht.
Gedenkveranstaltung mit Leisner Nichte in Wien
Zum 80. Todestag von Karl Leisner (1915-1945) fand am Dienstag, 12. August, in der Wiener Augustinerkirche ein Gedenkabend statt. Dort war auch Leisners Nichte, Monika Kaiser-Haas, dabei. Den Abschluss bildete eine Messe mit dem Heiligenkreuzer Abt Maximilian Heim. Stefanie Stahlhofen traf Monika Kaiser-Haas am Mittwoch in Wien im Studio vom Radio Vatikan-Partnersender Radio Klassik Stephansdom für das Interview.
Karl Leisner*
Karl Leisner wurde am 28. Februar 1915 in Rees am Niederrhein geboren. Er war bereits Diakon, als ihn die Nationalsozialisten 1939 wegen einer kritischen Äußerung verhafteten. 1940 brachten sie ihn zunächst ins KZ Sachsenhausen, später in das KZ Dachau. Dort weihte Bischof Gabriel Piguet Karl Leiser in der Kapelle in Block 26 zum Priester. Am 26. Dezember 1944 feierte der Neupriester in Dachau auch seine erste und einzige Heilige Messe. Wenige Monate später starb er im Alter von 30 Jahren an den Folgen der KZ-Haft.
Die Heiligen Öle und weitere für die Weihe erforderliche Gegenstände hatte die damals 20-jährige Schwesternschülerin und Postulantin bei den Armen Schulschwestern, Josefa Mack, zuvor vom damaligen Erzbischof von München und Freising, Kardinal Michael Faulhaber, bei einem Besuch erhalten. Über einen inhaftierten Priester, der in einem Laden des KZ Produkte aus dessen Kräutergarten verkaufen musste, schmuggelte Mack die Utensilien in das Lager. Andere Häftlinge stellten in den Handwerksbetrieben, in denen sie arbeiten mussten, Stab, Ring und Mitra für Bischof Piguet her.
Nach der Befreiung des Konzentrationslagers wurde der schwer kranke Leisner 1945 in das Lungensanatorium der Barmherzigen Schwestern nach Krailling gebracht. Dort starb er am 12. August 1945. Auf dem Gelände des Waldsanatoriums in Krailling erinnert ein Denkmal an ihn. Papst Johannes Paul II. sprach Leisner am 23. Juni 1996 in Berlin selig.
* Material von Kathpress
(vatican news - sst)
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