P. Anselm Grün über Leo XIV.: ?Ein Papst, der wei?, wohin er gehen soll“
Der Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach äußerte sich zum Beginn des Pontifikats von Papst Leo XIV. P. Anselm Grün stellte fest, dass der neue Pontifex nicht nach Sichtbarkeit strebe, sondern eine diskrete Präsenz wähle. Für Grün signalisiere dies eine klare Richtung: Raum für das Wesentliche zu schaffen.
Zurückhaltung und Stille als Kommunikationsmittel
Grün erläuterte, dass es in jeder authentischen Form von Autorität heilsam sei, Abstand zu halten. Er erklärte, dass man in der Stille lerne, auf das Wesentliche zu hören. Aus dieser Stille könnten Worte entstehen, die Menschen wirklich berühren, besonders in einer Zeit, die von vielen Worten geprägt sei.
Auf die Frage nach einer möglichen ?Spiritualität des Zurücktretens“ im Kommunikationsstil von Leo XIV. in den ersten Tagen seines Pontifikats – geprägt von tiefem Schweigen, wenigen Worten und einfachen, aber ausdrucksstarken Gesten – antwortete Pater Grün: ?Papst Leo wollte sich nicht repräsentieren. Er war einfach nur da. Zurücktreten ist für jede Autorität etwas Gesundes. Man spürt, dass er sich nicht in den Mittelpunkt stellt, sondern sich in der Stille dem Wesentlichen öffnet. Und aus dieser Stille entstehen Worte, die die Menschen wirklich berühren können. Diese nüchternen Worte sind eine wichtige Botschaft für uns heute, denn wir leben unter einer Flut von Worten.“
Der Name Leo: Mut, Klarheit und Kontinuität
Der seit über einem Jahrhundert nicht mehr verwendete Name Leo stehe für innere Stärke, Wachsamkeit, aber auch für Kontinuität und kirchliche Tradition. Pater Grün interpretierte die spirituelle Bedeutung dieses Namens als Ausdruck von Mut und Klarheit: ?Der Löwe weiß, was er will. Er ist auch ein Symbol für Treue und die Pflege von Beziehungen. Das Bild des Löwen passt daher zu einem Papst, der weiß, wohin er will, der in der Lage ist, das voranzutreiben, was er für richtig hält, der aber gleichzeitig großen Wert auf die Beziehungen zu den Menschen legt.“
Er verwies auf historische Päpste dieses Namens: Leo den Großen, der Attila begegnete und ein politisches Zeichen setzte, sowie Leo XIII., der die erste Sozialenzyklika verfasste. Grün deutet an, dass Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt auch für den neuen Papst ein Anliegen sei.
Fürsorge und alltägliche Gesten als Ausdruck von Führung
Zu den häufig genannten Wörtern im ersten Monat des Pontifikats gehört ?Fürsorge“: für den anderen, die Gemeinschaft, die Schöpfung. Pater Grün, der selbst Texte über die Kunst der Fürsorge als spirituellen und menschlichen Weg verfasst hat, erkennt in dieser Betonung des Papstes eine Intuition für spirituelle Führung in der heutigen Zeit. ?Fürsorge für Menschen – aber auch für die Natur – entspringt der Liebe zum Lebendigen. Und sie drückt sich in tiefem Mitgefühl aus. Mitgefühl für jedes Lebewesen steht an erster Stelle. Wenn ich Mitgefühl für jemanden empfinde, versuche ich auch, mich bestmöglich um ihn zu kümmern. Mitgefühl und Fürsorge sind heute grundlegende Einstellungen für jeden, der eine Führungsrolle übernimmt. Wenn der Papst diese Werte lebt, ist er eine glaubwürdige Referenz für alle Verantwortlichen, auch in Politik und Wirtschaft.“
Die alltäglichen und brüderlichen Gesten des neuen Papstes – wie einfache Feiern, Mittagessen mit den Augustinern und konkrete Aufmerksamkeit für das gemeinsame Leben – werden von Grün als wichtig bewertet. Er betonte, dass ein geistlicher Begleiter das tägliche Zusammenleben anerkennen und unterstützen müsse. ?Wer begleitet, darf sich nicht über andere erheben und sich nicht in einen Elfenbeinturm verschließen. Er muss das tägliche Leben mit anderen teilen. Nur so kann er wirklich verstehen, was diese brauchen. Eine grundlegende Aufgabe jedes Begleiters ist es, Gemeinschaft zu schaffen.“ Der Papst als Pontifex sei ein Brückenbauer, und heute sei es unerlässlich, Brücken zwischen Menschen, Völkern und den verschiedenen Strömungen in Kirche und Gesellschaft zu bauen. Papst Leo XIV. sei sich dieser Mission bewusst und habe bereits in den ersten Schritten seines Pontifikats begonnen, sie umzusetzen.
Autorität durch Demut
Pater Grün wies darauf hin, dass jede wahre geistliche Autorität aus Demut entstehe, nicht aus dem Wunsch zu befehlen. Er sah in Papst Leo XIV. im ersten Monat seines Pontifikats Zeichen einer inneren Autorität, die auf Demut basiert. ?Für den heiligen Benedikt ist Demut die Grundhaltung des Cellerars, also dessen, der die Ökonomie des Klosters leitet. Aber auch für den Abt ist sie unerlässlich: Er muss sich stets seiner eigenen Schwächen bewusst sein. Demut bewahrt uns vor dem Bedürfnis, anzugeben und uns anderen überlegen zu fühlen. Sie ermöglicht es uns, Verantwortung als Dienst zu leben.“ Grün schloss mit der Aussage, dass Macht, wenn sie im Geist der Demut ausgeübt werde, zum Segen werde. Während Macht immer die Gefahr des Missbrauchs berge, zeige Papst Leo XIV. in seiner Amtsausübung diese Demut. ?Deshalb können wir darauf vertrauen, dass sein Dienst für viele Menschen und auch für unser gemeinsames Haus ein Segen sein wird.“
Pater Anselm Grün im Porträt
Pater Anselm Grün, geboren am 14. Januar 1945 als Wilhelm Grün, ist Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach in Bayern. Nach Theologiestudium und Promotion spezialisierte er sich auf Wirtschaftswissenschaften. Von 1977 bis 2013 war er Cellerar der Abtei. Seit 1979 veröffentlicht er Bücher und gründete 1991 das Recollectio-Haus, ein Aufnahme- und Beratungszentrum, dessen Leiter er bis heute ist. Er erhielt 2007 das Bundesverdienstkreuz und 2011 den Bayerischen Verdienstorden.2 Sein Stil wird als essentiell und tiefgründig beschrieben.
(sir - mg)
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