Unser Sonntag: Was ist Liebe?
Pfarrer Klaus Klein-Schmeink
Joh 13, 31–33a.34–35
5. Sonntag der Osterzeit
Es gibt Worte, die man manchmal zu oft hört und zu oft selbst in den Mund nimmt, ohne sie einmal herzhaft zu bedenken. Ein solches Wort ist mit Sicherheit das Wort ?Liebe“.
Überall hört und liest man es. Beim Friseur in der Illustrierten. Im Radio bei jedem zweiten Lied. Im Fernsehen bei TV-Schnulzen und in Talkshows, bei facebook, Instagramm und Co. Inflationär wird dieses Wort gebraucht. Häufig wird dabei der Sinn entstellt, die Bedeutung der Liebe ausgehöhlt. Es bleibt fast nur noch Herz, Schmerz und Zuckerguss. Rosamunde Pilcher lässt grüßen.
Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe.
Das trägt der Herr uns im heutigen Evangelium auf. Seine Liebe ging auf’s Ganze, sie hat sich hingegeben bis es im wahrsten Sinne des Wortes weh tat – am Kreuz. Er kann uns leiden – wie ein tiefes Wort im Deutschen sagt. Das ist etwas ganz anderes als die eher rührselig-kitschige Vorstellung von Liebe, wie sie in den Medien so häufig daherkommt.
Was ist Liebe?
Was ist Liebe? Wir lieben doch so viel und Unterschiedliches.
?Ich liebe Grauburgunder!“ – ?Ich liebe es, zu wandern!“ – ?Ich liebe Literatur!“ – ?Ich liebe meine Katze!“ – ?Ich liebe Dich!“
Was hat das alles miteinander zu tun? Was haben diese unterschiedlichen Lieben gemeinsam? Josef Pieper, der große deutsche Philosoph aus dem Münsterland, fasst das in seinem Traktat ?Über die Liebe“ zusammen:
?In jedem denkbaren Fall besagt Liebe soviel wie Gutheißen. Das ist zunächst ganz wörtlich zu nehmen. Jemanden oder etwas lieben heißt: diesen Jemand oder dieses Etwas »gut nennen und, zu ihm gewendet, sagen: Gut, dass es das gibt; gut, dass du auf der Welt bist! –
Diese Formulierung bedarf allerdings, zur Abwehr möglicher Missverständnisse, sogleich der Erläuterung und fast der Korrektur. - Vor allem muss man sehen, dass es sich, dem buchstäblichen Wortlaut zum Trotz, nicht um ein bloßes Sagen und Nennen handelt, nicht um einen Aussagesatz, was ja an sich gleichfalls möglich wäre. Die hier gemeinte Gutheißung ist vielmehr eine Willensäußerung; sie bedeutet also das Gegenteil von distanzierter, rein »theoretischer« Neutralität; sie besagt: einverstanden sein, beipflichten, Billigung, Beifall, Bejahung, Lob, Rühmung und Preisung.
Lieben als Weise, zu wollen
So deutlich der Intensitätsunterschied zwischen bloßem Einverstandensein und enthusiastisch rühmender Affirmation auch ist - eines ist allen Gliedern dieser Reihe, die natürlich leicht noch erweitert werden könnte, gemeinsam: es sind ausnahmslos Formen der Willensäußerung. Alle haben sie den Sinn: Ich will, dass es dich [das] gibt! Lieben ist also eine Weise, zu wollen. Wenn wir hier zunächst, gelinde gesagt, ein wenig stocken, so hat das mit unserer aktivistisch eingeengten Vorstellung von Wollen zu tun, wie sie von bestimmten philosophischen und psychologischen Lehrmeinungen geprägt zu werden beginnt.
Gestalt des Wollens
Wir haben uns schon ein wenig daran gewöhnt, den Begriff des Wollens auf den des Tun-Wollens einzuschränken, entsprechend einer vielzitierten Definition, wonach das »eigentliche Wollen« besage: »sich auf Grund von Motiven für Handlungen entscheiden«' (…) Genau ebenso aber gibt es eine Gestalt des Wollens, die nicht darauf zielt, etwas noch Ungetanes zu tun und so, in die Zukunft hinein, den gegenwärtigen Stand der Dinge zu ändern. Es gibt vielmehr, außer dem Tun-Wollen, auch die rein bejahende Zustimmung zu dem, was schon ist; (…)
Etwas bereits Verwirklichtes bestätigen und bejahen- eben das heißt: Lieben. Zwar wird, wie Thomas von Aquin einmal bemerkt, der Wille durchschnittlich »Strebekraft«, vis appetitiva, genannt; »doch kennt der Wille nicht allein diesen Akt, anzustreben, was er noch nicht hat, sondern auch den anderen: zu lieben, was er schon besitzt, und sich daran zu freuen«. Ein französischer Thomas-Kommentar unterscheidet dementsprechend geradezu zwischen dem Willen als »Liebeskraft« und dem Willen als Kraft der Wahlentscheidung.
Gott wollte den Menschen
Diese gedankliche Ineinssetzung von Wollen und Lieben findet sich aber nicht etwa nur in den Spekulationen eines mehr oder weniger fachlichen Schrifttums; sie ist auch der allgemeinen Menschenrede durchaus nicht unvertraut. Wenn es zum Beispiel im lateinischen Psalter des Hieronymus, der zweifellos den abendländischen Sprachgebrauch ebensosehr repräsentiert, wie er ihn seinerseits geprägt hat, viele Male heißt, dass Gott den Menschen »will« [Psalm 17, 20: »Der Herr hat mich hinausgeführt ins Weite, er hat mich befreit, weil er mich gewollt hat«, quoniam voluit me] - dann ist das, etwa in der Übersetzung der Beuroner Benediktiner, völlig zutreffend verdeutscht durch: » .. weil er mich liebt«. Martin Buber spielt in seiner Psalmen-Übertragung schon fast auf den erotischen Sinn der Liebe an: »In die Weite hat er mich herausgeholt, schnürt mich los; denn er hat an mir Lust«. (Josef Pieper, Über die Liebe, Kapitel II)
Soweit Josef Pieper. Kurz gefasst:
Wer sagt: ?Ich liebe Dich!“, der sagt ?Ich will, dass Du bist!“ Und das hat Gott zu jedem und jeder von uns gesagt: ?Ich will, dass Du bist!“ Was für eine Botschaft: Gott, will dass es Dich gibt! Du bist kein Zufall! Du bist gewollt! Ja, die ganze Welt, die ganze Schöpfung gibt es, weil Gott am Anfang gesagt hat: ?Es werde“ – ?Ich will, dass es das Licht gibt, dass es die Sonne und den Mond gibt, dass es die Tiere des Meeres und die Vögel am Himmel gibt, dass es den Menschen als Mann und Frau gibt. Ich liebe das alles, deshalb gibt es das auch alles!“
Kitschiger Schlager mit tiefer Wahrheit
Jetzt komme ich doch einmal auf einen etwas kitschigen Schlager zurück…aber in dem Text steckt – vermutlich unbewusst – doch eine tiefe Wahrheit. Jürgen Marcus sang 1972: ?Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben, mir ist, als ob ich durch dich neu geboren wär. Heute fängt ein neues Leben an. Deine Liebe die ist Schuld daran. Alles ist so wunderbar, dass man es kaum verstehen kann.“ Gott liebt die Schöpfung, Dich und mich, und deshalb – allein weil er uns will – gibt es uns!
Neue Liebe - neues Leben
Neue Liebe – neues Leben! Wer sich geliebt, gewollt weiß, der fühlt sich wie neugeboren, wie eine neue Schöpfung! Der liebt das Leben, heißt es gut! Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Der Herr möchte, dass sich die anderen von mir geliebt, gewollt wissen – damit sie aufleben. Es geht nicht darum, alles und jeden sympathisch zu finden. Es geht darum, alles und jeden gutzuheißen – außer die Sünde.
Wie dankbar dürfen wir sein, dass der Herr uns liebt, dass er uns will – jeden und jede persönlich.
Das hat er am Kreuz so überdeutlich klargemacht. Das Evangelium heute spielt ja kurz vor der Gefangennahme Jesu, kurz vor seiner Passion.
Wenn ich auf ein Kreuz schaue, dann spüre ich das innerlich: Ich bin gewollt, ich bin das ganze Blut Christi wert.
Vielleicht tut es Ihnen heute ganz gut, sich in eine Kirche zu setzen und einfach auf die ausgebreiteten Arme und das offene Herz Jesu zu schauen.
Wer so geliebt wird, der hat Mut zu leben, und will diese Liebe einfach weiterschenken - so gut es geht.
Wer so geliebt wird, der hat Vertrauen, dass das Leben gut ist und wird.
Und deshalb bete ich manchmal singend einen Vers von Max Raabe (wie Josef Pieper und ich ebenfalls ein Münsterländer):
?Mir kann nichts passier‘n, solang Du bei mir bist. Mir kann nichts passier‘n, weil es Liebe ist!“
(Radio Vatikan - Redaktion Claudia Kaminski)
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