Unser Sonntag: Emotional überfordert?
Prof. Dr. Nadja El Beheiri
Lk 9,28–36
Die Szene der Verklärung gehört zu den wenigen Abschnitten, in denen der Evangelist Lukas eine präzise Zeitangabe macht. Diese Verankerung des Geschehens in Raum und Zeit verstärkt dessen Realitätsnähe. Acht Tage zuvor hatte Jesus seine Jünger gefragt, für wen sie ihn halten und Petrus hat ihn als den Christus, den Sohn Gottes bekannt.
Auf dieses Bekenntnis hin hatte Jesus ihnen befohlen, niemandem davon zu erzählen, und ihnen sein Leiden angekündigt. Matthäus berichtet, dass Petrus ihn vom Leiden abhalten wollte, worauf Jesus ihn scharf zurechtwies – in der neuen Einheitsübersetzung mit den Worten: ?Tritt hinter mich, du Satan!“ Diese Aussage unterstreicht erneut, wie entschieden Jesus der Versuchung widerstand, sein Reich nach den Prinzipien irdischer Weisheit aufzubauen. Diese Versuchung ist die ständige Versuchung Gottes und auch des Menschen. Hätten wir es nicht auch gerne, dass Gott sich deutlicher zeigt, mit mehr Macht auftritt. Die Gegner seiner Lehre deutlicher in die Schranken weist. Aber der Herr beharrt auf dem Weg des Unscheinbaren, des Kleinen und des Leidens.
Papst Franziskus: Drei Wege der Nachfolge
Papst Franziskus, dessen Wahl die Kirche am 13. März feiert, entwarf in einer Predigt am Fest des heiligen Lukas im Jahr 2018 drei Wege, auf denen Christen ihrem Meister nachfolgen können. Zuerst nannte er die Loslösung des Herzens von materiellen Gütern. Als zweiten Weg beschrieb er das Martyrium – auch heute gibt es zahlreiche Gläubige, die sogar den Tod auf sich nehmen, um von Christus lebendig Zeugnis zu geben. Schließlich hob Franziskus die Einsamkeit und das Verlassensein hervor, die viele Apostel Christi in verschiedenen Phasen ihres Lebens erfahren.
Doch die Ankündigung des Leidens behält auch in dieser Episode nicht das letzte Wort. Trotz der energischen Rüge entzieht Jesus Petrus sein Vertrauen nicht und nimmt ihn auf den Berg der Verklärung mit. Nach traditioneller Überlieferung gilt der Berg Tabor als Schauplatz des Geschehens. Die Entfernung zwischen Cäsarea Philippi, dem Ort, an dem Petrus sein Bekenntis gegeben hat und dem Berg Tabor beträgt etwa 70 Kilometer – eine Strecke, die man zu Fuß in acht Tagen bewältigen kann. Der Berg erhebt sich etwa 400 Meter über die Ebene und bietet eine beeindruckende Aussicht.
Jesus begab sich mit seinen Aposteln auf den Berg, um im Gebet die Nähe Gottes zu suchen. Lukas berichtet, dass die Jünger eingeschlafen waren. Man wird an das Gebet Jesu im Ölgarten erinnert, bei der Jesus wiederum Petrus, Johannes und Jakobus mitnahm und diese auch bei dieser Gelegenheit einschliefen. Man kann sich die Frage stellen, wie es dazu kommt, dass die Jünger angesichts des Gebets des Herrn einschlafen. Eine einfache Antwort könnte darin liegen, dass der Weg, den sie zurückgelegt haben, beschwerlich war und der Aufstieg auf den Berg dann noch eine zusätzliche Anstrengung dargestellt hat.
Waren die Jünger emotional überfordert?
Man könnte auch noch hinzufügen, dass die Jünger daran gewohnt waren, Jesus im Gebet zu sehen und dass dieses Gebet zunächst keine äußerlichen Besonderheiten aufgewiesen hat. Man kann sich aber auch an eine Erklärungsvariante vorstellen, die gerade in die entgegengesetzte Richtung weist. Die Jünger waren von ihrem Zusammensein mit dem Herrn emotional überfordert. Das Einschlafen wäre dann so etwas wie eine Schutzreaktion.
Als der Herr betete und die Jünger schliefen geschah etwas Außergewöhnliches. Das Gesicht Jesu veränderte sich, sein Gewand wurde leutend weiß und Moses und Elias erschienen ihm und sprachen mit ihm. Lukas ist der einzige Evangelist, der das Thema des Gespräches erwähnt: Den Weg Jesu nach Jerusalem und sein Leiden. Jerusalem spielte eine besondere Rolle im Evangelium des Lukas und die Verklärung ist nicht vom Leiden des Herrn zu trennen.
Angesichts dieses Geschehens wurden die Jünger plötzlich ganz wach. Das griechische Wort διαγρηγορ?ω diagregoreo in der entsprechenden grammatikalischen Form bedeutet so viel wie hell wach sein. Die Jünger waren also hellwach und hatten eine Vision. Der grosse deutsche Denker Romano Guardini beschreibt das Geschehen während der Verklärung so, dass er sagt, dass etwas der menschlichen Erfahrung Entrücktes in diese eintritt. Das Licht der Verklärung ist Helligkeit, die verhüllt. Es bringt Himmlisches, das offen wird und doch unzugänglich bleibt. Die Jünger schauen das Wesen Gottes und sie erkennen ihn als einen Dreifaltigen Gott. Die Wolke – der Heilige Geist, die Stimme aus der Wolke – der Vater und Jesus, der in noch nie erfahrenem Glanz vor ihnen steht. Mit der Dreifaltigkeit teilt Gott sein innerstes Wesen dem Menschen mit. Er ist wie – Benedikt XVI./Joseph Ratzinger betont hat – in dem Vater ganz Sein-Für, im Sohn Sein-Von und Sein-Mit im Heiligen Geist.
Gottes Wesen ist Beziehung
Gott ist seinem Wesen nach nicht Einsamkeit, sondern Beziehung und das ist auch die tiefste Wahrheit des Menschen. In dem der Mensch Gott erkennt, erkennt er sich auch selbst. Der Mensch – Mann und Frau – sind nach dem Abbild des Dreifaltigen Gottes geschaffen und damit ist auch er seinem tiefsten Wesen nach auf Beziehung ausgerichtet. Der erste Ort dieser Beziehung ist die Familie. Jesus wollte auch auf Erden in eine Familie geboren werden und in einer Familie aufwachsen. Die zweite Person der Allerheiligsten Dreifaltigkeit wird so auch Teil einer irdischen Dreifaltigkeit. Jesus, Maria und Joseph. Cicero – der grosse vorchristliche Philosoph hat die Familie als seminarium rei publicae bezeichnet. Das lateinische Wort semen bedeutet Samen oder auch Keim.
Familie - Keimzelle des Staates
Der Philosoph hat auch erkannt, dass im Hinblick auf eine Familie die Bande des Blutes nicht ausreichend sind, auch eine benevolentia – ein gegenseitiges Wohlwollen ist erforderlich. Die Wendung seminarium rei publicae – die Keimzelle der Staates – bedeutet aber auch, dass das Bild, das man von dieser Einheit hat – die im überaus hierarchisch organisierten römischen Staat an erster Stelle stand, eine Auswirkung auf die übergeordneten Einheiten hatte.
Die Tatsache, dass der Mensch ein Beziehungswesen ist, bedeutet aber auch, dass er das Schöne, das Gute und die Wahrheit nur in Beziehung mit anderen Menschen erreichen kann. So sind auch bei der Verklärung Jesu Moses und Elias anwesend – als Vertreter des Gesetzes und der Propheten.
Petrus will drei Hütten bauen...
Die Jünger sind von der Erfahrung überwältigt. Petrus reagiert mit dem Wunsch die Schönheit des Augenblicks festzuhalten. Er tut es auf seine – sehr praktische Weise – er möchte drei Hütten bauen. Auch dieses Ansinnen deutet darauf, dass es sich bei dem Erlebnis der Verklärung um ganz realistische Eindrücke gehandelt hat. Eindrücke, die man mit den Händen greifen kann. Aber die Einsichten in Gottes Geheimnisse sind auf Erden nicht endgültig. Zum Wesen des Glaubens gehört das Zusammenspiel von Licht und Dunkel – von Erfahren, Fühlen und Verstehen auf der einen Seite und von Bedecktsein, Trockenheit und Unverständnis auf der anderen Seite. Die Einsicht in das Wesen Gottes kann man nicht erzwingen, sie ist nicht Frucht der Anstrengung des Menschen, nicht Ergebnis von gelehrten Abhandlungen. Ja oft treffen wir auf Menschen, die weit von jeder akademischen Tätigkeit entfernt sind und gleichzeitig eine tiefe Einsicht in die grossen Wahrheiten des Lebens haben. Gott erkennen zu dürfen, ihn schauen zu können ist immer ein Geschenk.
Momente des Lichtes sind notwendig
Die Momente des Lichtes sind jedoch wesentlich und notwendig. Auch der grosse mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin hat festgehalten, dass um an das Ende des Weges zu gelegen, es notwendig ist, ihn – wenn auch in unvollkommener Weise – zu kennen. Je schwieriger der Weg ist, je weiter der Gipfel entfernt liegt, desto mehr braucht es eine solche Einsicht in das Ziel. Gott schenkt diese Einsichten, die Aufgabe der Menschen ist, sie in ihrem Leben zu entdecken und festzuhalten.
(Radio Vatikan - Redaktion Claudia Kaminski)
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